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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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ein Dreifachkinn, meine Gesichtshaut bleibt trotz Solariums aschfahl, mein Haarausfall beschleunigt sich, die dunklen Ringe unter den Augen werden noch dunkler, am Hals kriege ich rote Flecken, die dunkelgelben Flecken an den Augenrändern werden grünlich, meine Lust auf Sex lässt nach, meine Haut fettet einen Tag wie verrückt, den nächsten schuppt sie sich vor Trockenheit, im Gesicht platzen Äderchen, meine Kurzsichtigkeit verschlimmert sich, ich bin dauermüde, ich bin dauerkraftlos.
    Besonders übel ist die Gewichtszunahme. Ich hatte nie ein Problem mit zu vielen Pfunden. Ich war immer schlank, früher sogar schlaksig. Obwohl ich reichlich gefuttert habe – selten gesund, meist nach dem Lustprinzip. Meine Beine sind bis heute dünn geblieben, meine Arme auch, mein Hintern wurde auch nicht breiter. Gewuchert sind Bauch, Hals, Wangen. All das, was ins Auge sticht. Ich habe mich nie als schön empfunden, hatte auch nie eine Modelfigur. Sagen wir so: Ich habe mich für mein Äußeres nicht geschämt, war aber auch nicht stolz drauf.
    Das hat sich geändert.
    Ich kann nichts Attraktives an mir entdecken. Da ist Bauch, wo früher keiner war, da ist Kinn, wo keines hingehört, da sind Fettpolster, wo ich lieber Luft sähe. Ich bin ein Koloss, ein Opi, ein Kriegsverletzter. Die Kriegsverletzungen stammen aus der Schlacht gegen den Stress.
    Ich kapiere es nicht: Ich arbeite, arbeite, arbeite. Zugegeben, ich esse unregelmäßig und zu selten vollwertig. Aber auf Dauer-Vollgas müsste ich Kalorien ohne Ende verbrennen. In Wahrheit werde ich feister und feister. Als Reporter wog ich um die 88 Kilo bei 1,95 Meter Länge. Das war okay. Damals habe ich mich nicht anders ernährt, war zur Recherche aber ständig unterwegs, bin regelmäßig gelaufen, habe mal Squash, mal Badminton gespielt und bin ab und zu schwimmen gegangen.
    Mein Traumgewicht wäre: 92 Kilo.
    Ich peile an: 95 Kilo.
    Ich wiege: 98,5 Kilo.
    Ich kenne kaum Kollegen, die ihr Gewicht halten konnten. Die wenigen, die mir einfallen, sind gut darin, dem Job nicht die Dominanz und Macht in ihrem Leben zu übergeben. Sie schlagen sich Zeit frei für Sport, essen gesund, trinken in Maßen, sind oberdiszipliniert. Ich könnte das nicht.
    Abends denke ich: Du hast geackert wie ein Bekloppter, hast dich gequält – da darfst du dich jetzt belohnen mit einem zweiten, dritten, vierten Drink, darfst essen, worauf du Lust hast. Kommt das schlechte Gewissen, verordne ich mir von jetzt auf gleich ein Kohlenhydrate-Verbot, bestelle zu später Stunde Fisch statt Fleisch, dazu nur Salat. Das geht zwei Wochen gut, dann breche ich ein. Ende der Disziplin. Und wieder ran an die Buletten! Eine Dose Erdnüsse nach Mitternacht. Einen fünften Cuba libre um zwei Uhr früh. Um halb drei ein Zwischenstopp auf der Taxifahrt nach Hause. Cheeseburger, Nuggets Barbecue, Pommes, Cola (light, haha).
    Frühstück gibt’s morgens noch immer nicht. Stattdessen weiterhin: ein Glas Wasser gegen den Brand, eine Aspirin gegen das Schädelbrummen, zwei Baldrian gegen die Nervosität. Kaffee habe ich zum Aufstehen noch nie getrunken. Vor eins, halb zwei mittags esse ich an den meisten Tagen nichts. Dann hau ich mir den knurrenden Magen voll.
    In der hitzigen Produktion abends gegen sechs müssen her: Schokoriegel, NicNacs, Gummibärchen, saure Pommes, Lakritzschnecken. Dann ist Ruhe bis zum Termin am Abend, oft eine Veranstaltung mit Buffet. Ich greife zu. Nicht gierig, nicht üppig, ich esse nicht gern im Stehen und erst recht nicht im Gespräch mit anderen. Besser ist Flying Buffet. Junge Damen halten den Gästen Tabletts voll mit Mini-Suppen, Mini-Schnitzel, Mini-Wraps, Mini-Frikadellen in mundgerechten Häppchen hin. Das ist okay, da essen alle gleichzeitig mit Bier oder Wein in der einen und Serviette mit Finger-Food in der anderen Hand. Auch nicht elegant, aber da geht’s allen gleich.
    Meine Ernährung folgt keinem Plan. Und wenn, dann dem der Unkontrolliertheit und Hemmungslosigkeit. Ich weiß es und nehme mir manchmal vor: Morgen! Morgen änderst du dich. Morgen beginnst du, gesund zu essen. Morgen wird alles anders. Morgen fängst du auch wieder mit dem Laufen an.
    Zumindest einen Abend glaube ich mir das. Am nächsten Tag verwerfe ich den Plan. Allein die Vorstellung, zu starten, strengt mich an. Ich möchte mal nichts vorhaben, mich nicht quälen, mir auch keine Gedanken über meine Essgewohnheiten machen. Also folge ich am nächsten Tag dem Heißhunger auf etwas Fettiges, das

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