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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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Polizeimeldungen!
    Eine heiße Welle schwappt von der Hüfte zur Stirn.
    Den Haufen ausgedruckter Meldungen habe ich gestern Abend beim Aufräumen weggeschmissen.
    O Mann, mein Gehirn ist wie verrammelt. Ist doch erst zwei Tage her! Kann ich mir denn gar nichts mehr merken? Mein Kopf fühlt sich leer an und gleichzeitig so voll, als ob er jeden Moment explodieren wird. Ich rufe Kathrin an, frage nach der Idee von vorgestern. Sie muss mich für bekloppt halten.
    «Äh, du hast doch gesagt, dass wir daraus eine Sommerserie machen wollen.»
    «Ach ja, die ungelösten Mordfälle. Ja, ja, hast recht, hatte gerade einen Blackout, sorry, vergiss es. Wir machen das wie besprochen.»
    Ich will nicht, dass es so mühsam ist. Ich kann nicht mehr denken.
    Konzentrier dich, du darfst jetzt nicht weg, nicht jetzt.
    Noch eine Welle, noch mehr Hitze.
    Ich streife mein Sakko ab, mein Rücken ist nass geschwitzt.
    Ich rufe den Lokalchef an.
    «Gibt’s was Neues für Seite drei?»
    «Hm.»
    «Irgendwas, was wir hochjazzen können?»
    «Tja.»
    «Gericht? Was aus den Stadtteilen? Irgendwas vom Kiez?»
    «Ich frag mal Merle, vielleicht hat die was.»
    Mir muss was einfallen! Was mir einfällt, ist alles Müll. Ich hatte so gute Ideen vor zwei Tagen. In meiner Brust schnürt etwas. Bleib ruhig, atme, ein auf drei, aus auf fünf!
    Ich werde hektisch, ich habe keine Zeit zu atmen. Herzgalopp.
    Dungdungdungdungdungdung.
    Mein linkes Bein wippt noch immer wie blöd. Passiert wohl häufiger, unter meinen Füßen ist der dunkelrote Teppich hellrot-fransig gewippt. War das wirklich ich?
    Ich gehe in den Produktionsraum. Ich habe schlechte Laune und sehe ein halbes Dutzend Kollegen am Balken sitzen, am Tisch, an dem alle Fäden der Blattproduktion zusammenlaufen. Erster Foto- und zweiter Fotochef, Chef vom Dienst, Onliner, Spätdienst, mein Stellvertreter. Mann, uns muss doch was einfallen.
    «So, Leute. Jetzt mal Konzentration. Was machen wir auf Seite 3 auf?»
    Wir diskutieren die Themen aus dem Tagesangebot, alles keine Kracher. Wir entscheiden uns für eine Baugeschichte. Sanierung einer Passage in einer der bekanntesten City-Einkaufsstraßen. Es gibt ein paar neue Simulationen von den Architekten, einige Details, über die wir noch nicht berichtet haben. Das kann man machen.
    Ein Notnagel.
    Tage wie dieser gehen manchmal gut aus, manchmal enden sie in der Katastrophe. Ein Zeitungstag endet immer erst am nächsten Morgen. Dann sehen wir, wie gut wir waren. Bis dahin ist Spannung, Anspannung. Mit dem Blick in die anderen Blätter fällt das Urteil. Haben wir was verpasst? Eine Top-Geschichte bei der Konkurrenz, die so gut ist, dass wir sie aufgreifen und nachdrehen müssen, und der neue Tag ist im Arsch. So ein Morgen ist grausam. Die ganze Anstrengung, der ganze Kampf um ein gutes Blatt, die stundenlange Maloche, die Zufriedenheit über den erreichten Redaktionsschluss, ist von einer auf die andere Sekunde wie weggewischt. Da ist plötzlich nur noch: Aufregung.
    Am Morgen mit dem Baugeschichten-Notnagel-Aufmacher ist ab acht nur noch: Aufregung.
    Müde ziehe ich im Treppenhaus das Abendblatt aus dem Briefkasten. Ich überfliege die Themen auf Seite eins. Als ich zurück in meiner Wohnung bin und die Tür zuziehe, stelle ich mir nichts schöner vor, als sie heute nicht mehr aufmachen zu müssen. Draußen erwartet mich ein heißer Tanz. Das Abendblatt hat eine Hammergeschichte. Robert Redford hat in Hamburg geheiratet. Still und heimlich in einem der bekanntesten Luxushotels der Stadt. Die Geschichte ist schlecht verkauft, sie haben keine Fotos. Egal, das ist nach dem Rücktritt des Bürgermeisters ungefähr das Schlimmste, was man als Lokalzeitung verpassen kann.
    Eine Stunde früher als sonst fahre ich in die Redaktion. Ich fühle mich wie in einem Kokon. Alles rauscht an mir vorbei, unwirklich. Nur ich und dieser eine Gedanke: Wie konnte das passieren?
    Der weitere Tag läuft so, wie alle Tage laufen, an denen etwas gehörig schiefgegangen ist, sich alle um Schadensbegrenzung bemühen, die Niederlage aber durch nichts erträglicher wird: Erst mal sind alle sehr aufgeregt, schlechte Laune bekommen nach mir der Chefredakteur, die Mitarbeiter des Showressorts, alle, die mit mir an diesem Tag zu tun haben. Es gibt sehr unangenehme Telefonate. Es stellt sich heraus, dass die Information nur durch einen blöden Zufall beim Abendblatt gelandet ist (eine Mitarbeiterin hat einen privaten Kontakt zum Hotelpersonal). Das ändert aber gar nichts. Wir

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