Bis unter die Haut
sich noch nie so unbehaglich gefühlt. Sie kann es kaum erwarten, dass diese unsägliche Farce endlich vorbei ist.
»Oh, ähm, ja, da haben Sie vermutlich recht.« Es strengt Guy sichtlich an, sich zusammenzureißen. »Es ist nur so, dass ich letztes Jahr zwei Seminare hier belegt habe, eins davon bei Ihnen, das ich richtig gut fand, und dann noch einen Grundkurs in Wissenschaftlichem Arbeiten, der – tut mir leid, dass ich es so sagen muss – absolute Zeitverschwendung war. Ich hab ihn nur gemacht, weil er Voraussetzung war, um als Oberstufenschüler Seminare zu belegen …« Er wendet sich Willow zu. »Falls du nächstes Jahr auch ein paar Seminare besuchen willst, musst du den bestimmt …«
»Ich glaube nicht, dass das für Willow im Moment infrage kommt«, fällt David ihm plötzlich ins Wort.
Willow zuckt zusammen, als hätte er sie geschlagen. Nicht etwa, weil sie so wahnsinnig scharf darauf ist, irgendwelche zusätzlichen Uni-Seminare zu belegen, sondern weil es ihr wehtut, dass ihr Bruder über sie spricht, als wäre sie gar nicht anwesend. Und diese harsche Ablehnung klingt in ihren Ohren auch verletzend. Offensichtlich fällt es ihm leichter, über Guys Zukunftsperspektiven zu sprechen.
»Weißt du was?«, fährt David fort. »Ich dachte eigentlich, ich hätte die Unterlagen hier, aber ich muss sie wohl zu Hause vergessen haben. Warum gibst du mir nicht einfach deine Mail-Adresse, und ich schick dir die Sachen zu, sobald ich alles zusammengestellt hab?«
»Das wäre toll, vielen Dank. Ich … ähm … tja, dann sehen wir uns wohl nächstes Semester …« Guy steht von der Couch auf und verabschiedet sich. Willow folgt ihm schweigend aus Davids Büro und die Treppe hinunter.
» Scheiße, Scheiße, Scheiße «, flucht Guy leise und verpasst der Schwingtür, die aus dem Gebäude führt, einen wütenden Tritt.
Mittlerweile ist es Abend geworden. Ein leichter Wind zaust Willows Haare, als sie langsam über den Campus gehen. Das hat nach dem ganzen Aufruhr etwas Beruhigendes, und sie ist froh, dass sie sich gerade einfach nur dieser Sinneswahrnehmung hingeben kann. Sie ist zu erschöpft, um zu reden, zu erschöpft, um auch nur nachzudenken.
Im Gegensatz zu Guy.
»Ich glaub das nicht!«, wiederholt er immer und immer wieder. »Ich glaub das einfach nicht! Das da eben war ja wohl das reinste Affentheater! Ich muss genauso verrückt sein wie du.« Er bleibt stehen und schaut sie mit einer Mischung aus Empörung und Fassungslosigkeit an.
»Es war das einzig Richtige«, hält Willow müde dagegen.
»Dann geh wenigstens mit mir zur Uni-Ambulanz, damit die deine Wunden versorgen können«, drängt Guy. »Die unterliegen der gleichen Schweigepflicht wie normale Arztpraxen …«
»Nein.«
»Aber ich kann dich doch nicht einfach so gehen lassen! Versuch doch mal, dich in mich reinzuversetzen. Ich meine … in was für eine Lage bringst du mich denn?!«
»Ich bringe dich in gar keine Lage«, entgegnet Willow kühl und beschleunigt ihren Schritt. Mittlerweile sind sie fast im Park angekommen.
»Oh doch, tust du«, hält Guy hartnäckig dagegen. »Denkst du vielleicht, dass ich das einfach so vergessen kann? Was ist, wenn du …«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht vorhabe, mich umzubringen.«
»Ach, und du glaubst, dass die Sache sich damit erledigt hat?« Er setzt sich auf eine Bank und zieht sie neben sich. »Dass es völlig okay ist, wenn du dich mit einer Rasierklinge aufschlitzt, solange du dabei nicht draufgehst?«
»Ich will doch bloß sagen, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst …«
»Na klar!«, fällt Guy ihr ins Wort. »Ich brauch mir keine Sorgen zu machen!« Er stöhnt auf. »Verdammt, das hat mir gerade noch gefehlt. Wenn ich es deinem Bruder nicht erzähle, was dann? Soll ich vielleicht die ganze Zeit auf dich aufpassen? Das kann ich nicht! Ich will mich hier aufs Studium vorbereiten, mir so schnell wie möglich einen Job besorgen. Verflucht noch mal! Ich hab genügend Kram, um den ich mich kümmern muss. Und jetzt hab ich auch noch dich am Hals!«
Willow erstarrt. »Hast du nicht! Das hab ich doch gerade versucht, dir zu erklären!«
»Ach, hab ich nicht?« Er sieht sie wütend an. »Okay, damit wir uns nicht missverstehen: Du willst, dass ich deinem Bruder nichts davon erzähle …«
Willow nickt heftig.
»Gut, du willst also, dass ich die Klappe halte und mich nicht weiter einmische? Sag mal, willst du mich verarschen? Ich hab vielleicht Besseres mit meiner Zeit zu
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