Bis unter die Haut
Moment. »Aber weißt du was? Es geht gar nicht um Verlust, sondern um Wiedergeburt, darum, wie sie wieder vereint werden …«
»Hast du dir das Thema ausgesucht?«
»Nein, Mr … wie heißt er gleich noch … Adams? Er hat es mir gegeben.«
»Das war nicht besonders feinfühlig von ihm.«
»Ach, wahrscheinlich hat er einfach nicht drüber nachgedacht.«
»Sieht ganz so aus.« Guy dreht ihr den Kopf zu und sieht sie nachdenklich an. »Hör mal, wenn dir das echt solche Schwierigkeiten macht, kann ich dir vielleicht helfen. Ich bin mir sicher, dass ich noch irgendwo meine alten Unterlagen aus dem Kurs herumliegen habe. Vielleicht fällt dir der Einstieg leichter, wenn du dir die mal anschaust.« Er löst den Blick von ihr und schaut wieder in den Himmel.
»Danke«, sagt Willow und sieht ihn dann verwundert an. »Sag mal … Was machst du da eigentlich?« Er liegt flach auf dem Rücken, die Augen nach oben gerichtet, und bewegt die Arme, als würde er …
»Wonach sieht es denn aus?«
»Äh, also wenn ich raten soll, würde ich sagen, dass du versuchst, den Verkehr zu regeln oder ein Symphonieorchester zu dirigieren.«
»So was Ähnliches. Ich versuche, die Wolken näher zusammenzuschieben«, sagt er und scheint es vollkommen ernst zu meinen. »Siehst du? Die eine da, die wie ein Hase … oder, okay , meinetwegen wie ein Schwan aussieht, und die, die aussieht wie eine Geburtstagstorte? Ich schiebe sie näher zusammen.«
»Aha.« Willow setzt sich abrupt auf. »Ich hab dir doch gesagt, dass es nichts Gutes bedeutet, einen Hasen zu sehen. Ich befürchte, deine Symptome haben sich verschlimmert, du bist …«
»Hast du das gesehen?«, unterbricht er sie lachend. »Sie hat sich bewegt! Jetzt bist du sprachlos, was? Und du kannst die Zwangsjacke wieder einpacken, ich bin nicht verrückt. Das ist eine sehr alte und angesehene Technik, die ich da benutze.«
»Häh?«
»Sie stammt aus dem Buch The Boys’ Book of Magic . Es ist seit 1878 vergriffen. Trick Nummer neunzehn. Wie man auf einer Teegesellschaft das Wetter steuert und Freunde in Staunen versetzt.«
»Teegesellschaft?«
»Ich hab doch gesagt, dass es seit 1878 vergriffen ist. Außerdem war der Autor Engländer. Es geht die ganze Zeit um Gartenfeste, Kricket und Tricks, mit denen man Leute beeindrucken kann.«
»Aha, und, ähm, das hast du dir kürzlich gekauft?«
»Nein, als ich zwölf war«, antwortet Guy. »Und auch wenn es echt peinlich ist, aber ich hab damals wirklich geglaubt, dass solche Zaubereien, wie die, mit der man angeblich das Wetter steuern kann, funktionieren. Da! Hast du gesehen? Ich hab dir doch gesagt, dass ich sie bewegen kann!« Er schaut sie mit einem triumphierenden Lächeln an.
»Oh bitte.« Sie macht sich noch nicht einmal die Mühe, in den Himmel zu schauen. »Das ist der Wind. Falls es dir nicht aufgefallen ist – in der letzten halben Stunde ist es deutlich kühler und windiger geworden.« Sie legt sich wieder ins Gras. » The Boys’ Book of Magic ? Klingt wie etwas, das deinem alten Hauslehrer gefallen hätte.«
»Ich bin mir sicher, dass es irgendeiner seiner Großonkel geschrieben hat«, murmelt Guy, während er weiter konzentriert in den Himmel starrt. »Ich glaube sogar, dass es das letzte Buch war, das ich gekauft hab, bevor wir nach Kuala Lumpur gezogen sind.«
»Eigentlich hätte es dir doch dabei helfen müssen, dich diesen ganzen englischen Schnöseln anzupassen«, sagt sie, während sie ihn von der Seite betrachtet. Er ist definitiv interessanter als die Wolken. Sie fragt sich, wie er wohl mit zwölf gewesen ist.
»Wenn wir vor hundert Jahren gelebt hätten und ich ein paar echt gute Tricks draufgehabt hätte, dann vielleicht. Aber ich hatte leider nur ein paar ziemlich bescheuerte Kartentricks zu bieten, mit denen man seine Freunde vergrault und die einen auf einer Teegesellschaft wie einen Vollidioten dastehen lassen.« Guy zieht eine Grimasse. »Eigentlich hatte ich dieses Buch schon völlig vergessen. Es hat mich, ehrlich gesagt, ziemlich schnell gelangweilt, aber als ich Der Sturm gelesen habe, musste ich wieder daran denken. Erinnerst du dich, wie Prospero das Unwetter heraufbeschwört? Hey, du guckst ja gar nicht!« Er zieht sie spielerisch an ihrem Zopf. »Komm schon, du könntest mich ruhig ein bisschen bewundern. Das Buch hat offensichtlich doch nicht so unrecht gehabt, ich war bloß zu jung, um wirklich zu begreifen, wie schwer es ist, das Wetter zu beherrschen. Ich sage dir, diese Wolken
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