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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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»Aber eines weiß ich sicher, der Anblick ihres abgemagerten Körpers hat auf dich die gleiche Wirkung gehabt wie deine Wunden auf mich.«
    »Oh.« Dazu fällt ihr erst einmal nichts ein. Es macht sie traurig, dass sie ihm nur aus diesem Grund so unter die Haut gegangen ist. Aber sie ist selbst schuld, dass er nicht einfach ein Mädchen sieht, wenn er sie anschaut, sondern eine Ritzerin .
    Sie krempelt ihren linken Ärmel hoch und betrachtet ihre Schnitte, versucht sie so zu sehen wie er.
    Sie sehen scheußlich aus, daran gibt es nichts zu rütteln. Er hat an dem Nachmittag im Magazin nicht umsonst gesagt, dass sie abstoßend sind.
    Es sollte ihr egal sein. Ihre Schnitte erfüllen einen Zweck, und dieser Zweck ist völlig unabhängig von solchen oberflächlichen Betrachtungen. Trotzdem wünscht sie sich einen Moment lang, sie würden anders aussehen, würden tatsächlich wie Kratzer aussehen, die man sich zum Beispiel beim Spielen mit einer Katze zuzieht.
    Sie will den Ärmel gerade wieder herunterrollen, als Guy ihren Arm nimmt und mit dem Finger behutsam das Muster nachzeichnet, das die Rasierklinge darauf hinterlassen hat.
    »Nicht. Das ist …«
    Willow verstummt, als er sich hinunterbeugt und ihre Narben küsst.
    Einerseits ist es ihr schrecklich unangenehm, andererseits möchte sie, dass er nie wieder damit aufhört. Es fühlt sich so schön an. Und obwohl sie weiß, dass sie für dieses Gefühl mit anderen, weniger angenehmen Gefühlen bezahlen wird, schafft sie es einfach nicht, den Arm wegzuziehen.
    Und dann tut sie etwas, das sie mehr überrascht als alles, was sie jemals in ihrem Leben getan hat. Sie legt ihre Hand an seine Wange, hebt zögernd sein Gesicht an und küsst ihn.
    Sie wartet darauf, dass ihre Gefühle rebellieren, dass sie sie genauso überwältigen wie in der Bibliothek, stattdessen ist sie – zumindest für den Moment – ganz erfüllt davon, wie wunderschön es ist, jemanden unter dem Sternenhimmel zu küssen, Guy unter dem Sternenhimmel zu küssen.
    »Würdest du mir einen Gefallen tun?«, flüstert sie an seinem Mund. Sie zittert ein bisschen, vor Aufregung und auch vor Angst, und kann noch nicht so recht glauben, dass ihr Verhalten keine Konsequenzen nach sich ziehen soll.
    »Ja«, flüstert er zurück. »Alles, was du willst.«
    »Bring mich nach Hause.«
    Willow hat keine Ahnung, woher dieser Wunsch auf einmal kommt, ob er schon länger in ihr schlummert oder ein plötzliches Bedürfnis ist. Aber sie spürt ganz deutlich, dass es genau das ist, was sie möchte.
    »Jetzt?« Guy sieht sie verwundert an. »Aber nur, wenn du mich an deinem Bruder vorbei in dein Zimmer schmuggelst.«
    »Nein.« Sie schüttelt den Kopf. »Ich meinte, zu mir nach Hause. Ins Haus meiner Eltern, dorthin, wo ich aufgewachsen bin. Mein Zuhause .«
    »Oh.« Er nickt, obwohl er nicht zu verstehen scheint, was sie dort will. »Kannst du dir nicht einfach das Auto von deinem Bruder leihen und hinfahren? Ich meine, so weit ist es doch nicht, oder?« Er hält kurz inne. »Tut mir leid, das war gedankenlos von mir. Wahrscheinlich bist du gar nicht mehr gefahren, seit …«
    »Nein, bin ich nicht. Aber vor allem geht es darum, dass ich nicht alleine dorthin kann, und ich kann mir auch nicht den Wagen von meinem Bruder leihen. Er würde wissen wollen, wofür ich ihn brauche, und das kann ich ihm nicht sagen. Du musst mich hinfahren, Guy. Bitte.«
    »Und warum willst du dorthin zurück? Ist es, weil du Angst hast, dass dein Zuhause ein Ort geworden ist, den du nur noch in deiner Vorstellung besuchen kannst?«
    »Nein, ich glaube nicht, dass das der Grund ist …« Sie verstummt.
    Willow würde ihm gern eine Antwort darauf geben. Aber sie weiß ja selbst noch nicht einmal genau, warum sie plötzlich diesen Wunsch hat. Sie denkt an die letzten beiden Male, die sie seit dem Unfall zu Hause war, das eine Mal mit David, das andere Mal, als sie ein paar Sachen von sich geholt hat. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass es dieses Mal anders ablaufen wird. Sie hat keine Ahnung, was sie sich davon verspricht, oder warum sie glaubt, diesmal mit dem emotionalen Druck fertig zu werden. Der Druck, mit dem damals noch nicht einmal ihr unglaublich starker Bruder fertig geworden ist.
    Vielleicht muss sie einfach nur die Straße entlangfahren, a uf der es passiert ist. Den Kopf im Kleiderschrank ihrer Mutter vergraben und herausfinden, ob er immer noch nach ihr duftet. Vielleicht muss sie sich diese Bücherregale noch einmal

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