Bis unter die Haut
mit einem kleinlauten Lächeln zu.
»Es ist total voll, das können wir vergessen«, ruft Laurie ihnen schon vom Eingang des Lokals aus zu.
»Dann warten wir eben ein paar Minuten«, meint Andy ungerührt.
Guy kommt Willow einige Schritte entgegen. »Wir müssen nicht bleiben, wenn du keine Lust hast.«
»Ist schon okay, aber danke, dass du fragst«, sagt sie so leise, dass die anderen es nicht hören können.
»Hey, wenn wir wollen, können wir uns hinten in den Garten setzen«, sagt Adrian, nachdem er mit einer der Bedienungen gesprochen hat.
»Dann können wir aber nicht aufs Wasser schauen«, beschwert Andy sich.
» Du wolltest doch unbedingt herkommen«, hält Chloe dagegen.
»Na schön, dann schauen wir eben nicht aufs Wasser.« Andy folgt Adrian und Laurie ins Lokal.
»Ich find es sogar total nett hier hinten«, sagt Laurie, als sie sich alle um einen kleinen Tisch drängen, der von einem gestreiften Sonnenschirm beschattet wird.
»Wer will was?« Andy schaut sich nach einer Karte um.
»Für mich bloß einen Nachtisch«, antwortet Chloe.
»Für mich auch«, meint Laurie. »Oder nein, doch nicht, lieber einen Salat.«
»Kannst du nicht einfach beim Nachtisch bleiben? Sonst will ich auch einen Salat. Was ist mit dir, Willow?«
»Hmmm. Was nehme ich denn? Vielleicht ein …«
Willow sieht sie als Erste. Ein wandelndes Skelett, Opfer einer schrecklichen Krankheit, eine Überlebende aus einem Vernichtungslager. Einen kurzen Augenblick später wird ihr klar, dass das Mädchen natürlich nichts dergleichen ist. Sie ist nur ein Mädchen, ein Mädchen wie sie selbst, das sich fürchterliche Schmerzen zufügt. Nur dass das Werkzeug dieses Mädchens keine Rasierklinge ist, sondern Hunger.
Sie erträgt es kaum, sie anzuschauen, ist gleichzeitig aber wie gebannt. Jeder der spitz hervorstehenden Knochen ihres ausgemergelten Körpers zeugt von dem Schmerz, den sie in sich trägt. Willow kann sich vorstellen, wie groß dieser Schmerz sein muss. Sie weiß auch, dass es fast absurd ist, dass ausgerechnet sie den Anblick dieses Mädchen so erschreckend findet, aber diese Form der Selbstverstümmelung empfindet sie als viel schlimmer als die, die sie gewählt hat.
»Oh Gott, die Arme«, flüstert Laurie, die das Mädchen mittlerweile auch entdeckt hat.
»Wer ist arm?«, fragt Adrian, dessen Stimme im Gegensatz zu Lauries unnatürlich laut klingt.
»Scht!« Laurie stößt ihn mit dem Ellbogen an.
Guy dreht den Kopf, um zu sehen, worum es geht, und Willow hat das Gefühl, dass der Anblick des Mädchens ihn stärker mitnimmt, als es normal wäre.
Als sie sich wieder von ihm abwendet, fällt ihr Blick auf Andy. Auch er starrt das Mädchen an, reagiert aber völlig anders. Sein Gesichtsausdruck zeigt deutlich, dass er nichts weiter als ein geschlechtsloses, hässliches Klappergestell ohne Brüste in ihr sieht.
»Ich würde nicht allzu viel Mitleid mit der haben«, sagt er mit Verachtung in der Stimme zu Laurie.
»Wie bitte?« Chloe sieht ihn mit hochgezogenen Brauen an.
»Was denn? Sie kann es sich doch offensichtlich leisten, an so einem Ort essen zu gehen. Das ist schließlich kein armes unterernährtes Kind aus Afrika, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein«, sagt Chloe. »Keine Ahnung, was du meinst. Erklär’s mir.«
»Ich meine, dass sie sich das selbst antut …«
»Genau, und so etwas nennt man Essstörung«, zischt Laurie.
»Hey, schon gut! Ich weiß Bescheid, okay? Also rede nicht mit mir, als ob ich ein Idiot wäre.«
»Wieso nicht? Immerhin verhältst du dich wie einer«, sagt Chloe scharf.
»Oh, na klar! Sorry, dass ich nicht in Tränen ausbreche, nur weil sich irgendein Mädchen, das anscheinend nicht mit seinem Leben klarkommt, hinter der neusten Modekrankheit versteckt.«
»Woher willst du denn verdammt noch mal wissen, ob es nicht vielleicht einen triftigen Grund gibt, warum sie nicht mit ihrem Leben klarkommt. Warum sie sich das antut?«, kontert Chloe.
Die anderen am Tisch schweigen betreten. Willow ist sich sicher, dass sie nicht die Einzige ist, die jetzt lieber woanders wäre. Sie vermeidet jeden Blickkontakt zu Adrian und Laurie und schafft es kaum, Guy anzusehen.
»Hör zu, ich kenne diesen Typ Mädchen.« Andy hält es noch nicht einmal für nötig, seine Stimme zu senken. »Es sind immer die anderen, die an ihren Problemen schuld sind – die Gesellschaft, die Medien, such dir was aus. Heutzutage ist es cool, sich zu Tode zu hungern und darüber zu jammern, dass der Rest
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