Bis zum bitteren Ende
Orichalkum bildeten Fraktalmuster auf der Oberfläche, und Lucero spürte das Pulsieren von Mana in ihnen wie den Herzschlag eines Tieres. Der Locus war offenbar vor langer Zeit von Menschen oder anderen denkenden Lebewesen erschaffen und dann hier vergraben worden.
Die blutmagische Gestalt saß im Kreis auf der Oberfläche des Steins und bereitete sich auf den Beginn des Rituals vor. Die zehn Magier standen auf und sahen Lucero und ihren Herrn an, als diese die Stufen erklommen. Sie waren alle Menschen, und ihre Haut war ein Mosaik aus Tätowierungen und Runennarben wie ihre eigene. Am Hals waren die Spuren von Einstichen zu sehen.
Als Lucero die dunkle Leere ihrer Blicke sah, empfand sie ein immer stärker werdendes Mitleid für die Akoluthen, die sie hergeführt hatten. Höchstwahrscheinlich würde man sie opfern, um die Blutmagie zu verstärken. Die Blutmagier trugen die traditionellen roten Gewänder und hatten Katheter im Hals, die ihnen ermöglichten, während des Rituals ihr Blut miteinander zu teilen.
Lucero war früher selbst ein Mitglied der Gestalt gewesen und hatte viele, viele Male an dem Vergießen und Teilen des Blutes teilgenommen. Doch seitdem das Licht sie berührt hatte, kam es ihr böse vor, wie eine Perversion der Magie. Lebensenergie für derartige Zwecke zu benutzen, war hochgradig suchterzeugend, und Lucero hatte der Verlockung nachgegeben. Nur dadurch, daß sie die Schönheit des Liedes gehört und die schiere Güte des Lichts gesehen hatte, war es Lucero überhaupt möglich gewesen, ihre eigene innere Schlechtigkeit zu sehen, den Schatten auf ihrem Herzen, der sie unschuldige Leben zerstören ließ, um Macht und Herrschaft zu erringen.
»Es ist wichtig für dich, stark zu bleiben, mein Kind. Diejenige, welche die Brücke blockiert, steht nun, da wir bis zur Spitze vorgedrungen sind, am Rande der Niederlage, und unsere Verbündeten auf der anderen Seite des Abgrunds haben uns ihren Einfluß geliehen. Dies wird unsere letzte Schlacht.«
Lucero schauderte.
Als ihre nackten Füße die Oberfläche des Locus berührten, erstarrte Lucero. Die Knie gaben unter ihr nach, als sie ein elektrischer Schlag durchzuckte, bis jeder Nerv ihres Körpers explodierte. Sie spürte, wie ihr Bewußtsein in den Stein sank und von dem geometrischen schwarzen Loch verschlungen wurde. Einen Moment konnte sie die ganze Erde auf einmal spüren - ein Sekundenbruchteil perfekten göttlichen Bewußtseins - sie war Teil eines gewaltigen Netzes der Macht, Manalinien und anderer Loci, die den Planeten umspannten.
Dann war es vorbei, und Señor Oscuro half ihr auf. Ihre Haut prickelte, als sie den Kreis betrat, den die Mitglieder der Gestalt bildeten. »Leg dich hin, mein Kind«, sagte Oscuro. »In Kürze werden wir wieder gemeinsam auf den Metaebenen sein.«
Lucero legte sich mit dem Rücken auf die kalte harte Oberfläche des Locus und öffnete ihr Gewand, während die Gestaltmagier sie umringten. Oscuro tauchte über ihr mit einem Akoluth im Schlepptau auf - der Junge, der zuvor das Wort an sie gerichtet hatte. Auf dem Gesicht des Jungen lag ein Ausdruck zerstreuter Zufriedenheit - er stand unter magischer Hypnose.
Der Gesichtsausdruck des Jungen veränderte sich vorübergehend, als Oscuro ein Obsidianmesser zückte und es dem Jungen mit geübtem Schwung über die Kehle zog. Dann war er tot, und sein warmes, dickflüssiges Blut ergoß sich über Luceros nackten Leib. Seine Augen wurden glasig, da sie in weite Feme zu blicken schienen, ein Ausdruck, den sie schon viel zu oft gesehen hatte.
Oscuro stieß die Leiche des Jungen beiseite und kniete in der Blutlache nieder. Als der metallische Geruch Lucero überwältigte, biß sie die Zähne zusammen und kämpfte den Drang nieder, das Blut zu kosten. Oscuro zeichnete Muster auf Luceros Haut und murmelte in einer Sprache vor sich hin, die sie nicht kannte.
Dann war die Sonne verschwunden, ersetzt durch das matte einförmige Licht des Astralhimmels. Lucero sah für einen Moment, wie sich die Gestaltwesenheit rings um sie bildete, bevor Oscuro wieder sprach und sie auf der Kraftsäule emporgetragen wurden, die sich aus dem Locus erhob.
»Steh auf, mein Kind.« Oscuros Stimme enthielt jetzt einen Unterton der Autorität.
Lucero erhob sich und sah sich um, und der Eindruck überwältigenden Entsetzens, der von der ganzen Gegend ausging, ließ sie fast in Panik geraten. Es war der Wahnsinn eines Plünderers, die Häme eines Vergewaltigers, die ihr bis ins Mark
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