Bis zum bitteren Ende
drang.
Der eisige Boden ließ sie frösteln, eine harte, durchdringende Kälte, die sich in sie grub und nicht weichen wollte. Der zerklüftete Fels unter ihren Füßen war Teil eines riesigen Vorsprungs, der sich über eine bodenlose Schlucht erstreckte. Sie konnte jetzt die andere Seite des Abgrunds sehen, die unglaublich weit entfernt war. Und sie konnte die Kreaturen dort spüren, die sich in Zeitlupe zu bewegen schienen, da sie ihrerseits an einem Vorsprung bauten. An einem Bogen, der sich in ihre Richtung reckte.
Sie wollen herüberkommen. Wenn das die Tzitzimine sind, werden sie die Welt verwüsten. Sie werden die Apokalypse bringen.
Lucero lauschte. Sie sehnte sich danach zu hören, was ganz einfach dasein mußte.
So leise war die Musik, daß Lucero sie über den Geräuschen der Leichen kaum hören konnte, die nun zum Leben erwachten, da Oscuro Gesten mit den Händen beschrieb. Dann hörte sie die Musik, ein Lied von solch reiner Schönheit, daß es entweder Häßlichkeit austrieb oder sie zerstörte.
Hilf mir, betete sie zur Musik. Zum Licht, das von der Sängerin ausging. Ein reinweißer Glanz, der den Keil aus Blut und Leichen kaum durchdringen konnte, den Oscuro errichtet hatte. Es war das Licht, das für die zeitlupenhaften Bewegungen der Kreaturen verantwortlich war.
Einige der Zombie-Leichen ringsumher fingen an, sich zu verwandeln. Große spitze Borsten dünner schwarzer Haare sprossen aus ihrer Haut. Ihre Gliedmaßen verwandelten sich in bepelzte Tentakel und vervielfältigten sich, bis sich auf jeder Seite der nun abscheulichen Leiber vier befanden. Die Köpfe ver flachten, und aus den Unterkiefern ragten riesige Insektenmandibel, während die Augen sich spalteten und teilten.
Sie können sich nicht bewegen, wenn er nicht hier ist, wurde Lucero klar. Und er kann ohne mich nicht hier sein.
Oscuro lachte. »Wir sind bereit für den letzten Angriff.«
Wenn ich doch nur von hier verschwinden könnte, dann müßte er aufhören.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel rings um sie, und Lucero spürte, wie sich eine schlüpfrige Kälte um ihre Seele legte. Eine intensive Beklommenheit erfaßte sie, und sie konnte sich nicht mehr bewegen. Sie konnte nicht mehr denken. In ihrem Verstand zuckten Aale.
Auslöschung. Ewiges Leiden.
Von außen drang das Lied und die matten Lichtstrahlen zu ihr durch. Hielten ihre geistige Gesundheit in spröden Fingern. Ließen sie am Rande des Abgrunds balancieren…
5
Ryan saß mit untergeschlagenen Beinen im Garten hinter Dunkelzahns Anwesen und genoß den Duft nach Rosen und frisch umgegrabener Erde, der in der Luft lag, und die Wärme der Sonne auf seinen geschlossenen Augenlidern. Er trug immer noch den Anzug, in dem er mit Nadja zu Mittag gegessen hatte. Er hatte sich mit ihr zum Abendessen verabredet, wußte jedoch nicht, ob sie es rechtzeitig schaffen würde. Sie ertrank förmlich in Arbeit.
Sein Armbandkom summte, und er öffnete die Augen. Es war Jane-in-the-box. Er nahm das Gespräch an, und ihr blondes Icon erschien auf dem Bildschirm, ein breites rubinrotes Lächeln auf den Lippen.
»Hallo, Jane.«
»Quecksilber, ich habe gerade die letzten Einzelheiten mit Nadja und Black Angel ausgearbeitet.«
Black Angel war der Codename für Carla Brooks, ehemals Sicherheitsleiterin Dunkelzahns und nun Sicherheitsleiterin der Draco Foundation. »Gut«, sagte Ryan. »Raus damit.«
»Black Angel hat ein Sicherheitsteam zusammengestellt, das die Rüstung von Lake Louise nach Washington bringt, wo Assets Incorporated übernimmt. Die Übergabe wird morgen früh gegen fünf Uhr am National Airport stattfinden. Dann transportiert Assets die Rüstung weiter zum Château d'If.«
»Gute Arbeit, Jane.«
»Dhin und Grind holen dich um drei Uhr dreißig mit einem Hubschrauber ab. Damit bleibt noch ausreichend Zeit, um Ausrüstung in das Flugzeug umzuladen. Ich habe mit Axler im Hells Canyon Verbindung aufgenommen; sie fliegt nach Lake Louise und begleitet die Ware nach Washington.«
»Kommst du voran, was den neuen Magier betrifft?«
Janes blonder Kopf nickte. »Ich habe einen sehr guten kontaktiert, aber er ist vorsichtig. Ich warte noch auf seine endgültige Entscheidung.«
Ryan mußte an Miranda denken, die Magierin, die auf dem Pony Mountain bei dem Angriff auf Burnout gestorben war. Es schien schon Monate zurückzuliegen, obwohl seitdem erst zwei Tage vergangen waren. Miranda war eine gute Magierin und eine Freundin gewesen.
Er sah Jane an. »Erzähl mir von
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