Bis zum Ende der Welt
Die übrigen Fotos zeigten eine dunkelhaarige Frau in den Dreißigern, Laska oder Laska mit der Frau. Sie waren unter freiem Himmel aufgenommen worden, irgendwo, wo es warm war, und Laska sah darauf mindestens zwanzig, dreißig Jahre jünger aus. Auf einem Bild saß er auf einem Hocker neben einem Teleskop, das doppelt so groß war wie jenes, mit dem sie in der vergangenen Nacht den Mond beobachtet hatten. Das Foto war entweder frühmorgens oder abends entstanden, Laska und sein Fernrohr warfen auf den staubigen Boden lange Schatten. Am Horizont erkannte sie die Silhouette eines kargen Gebirges, ansonsten erinnerte die Landschaft sie an die kasachische Steppe, die sie von einer Reise mit ihrem Großvater her kannte.
Sie legte die Fotos wieder zurück in den Karton und den Karton wieder zurück in die Schublade, ganz nach hinten, unter die Schnellhefter. Dann ging sie nach unten.
Im Wohnzimmer ließ sie sich auf das Sofa fallen. Der Raum kam ihr noch muffiger und verlassener und fremder vor als am Abend zuvor. Aber ohne Geld konnte sie hier nicht so einfach weg. Vielleicht musste sie länger bleiben, als ihr lieb war. Sie schaltete den Fernseher ein. Nach einem kurzen, sich bedrohlich unzuverlässig anhörenden Knacken im Lautsprecher baute der Schirm langsam, als transportierte die Röhre ein Teilchen-Echo der Vergangenheit, ein Bild auf.
Es waren nur zwei Sender eingestellt, Laska schien sich nicht viel aus Fernsehen zu machen. Auf dem einen lief eine Quiz-Show, man sollte dem Moderator Fragen beantworten und bekam dafür Geld. Anna versuchte, die Fragen zu beantworten, aber nachdem sie zwei richtig geraten hatte, musste sie bei «Wie hieß der erste Bundespräsident?» passen. Auf dem anderen Kanal wurden Nachrichten gesendet: Überschwemmungen, Portugals Schuldensituation, der Krieg in Afghanistan. Als die Bilder vom Krieg in Afghanistan kamen, sah sie genau hin. Ihr Vater hatte das Bein in Afghanistan verloren, aber nie darüber gesprochen. Etwas musste dort passiert sein, das ihn verfolgt und schließlich eingeholt hatte. Auf dem Bildschirm marschierten schwerbewaffnete Soldaten einen Hang hinab auf eine weite, von Geröll übersäte Ebene zu. Danach kam ein Bericht über Autorennen.
Unter dem Fernsehgerät befand sich ein mit einer kleinen Tür verschlossenes Fach. Sie öffnete es und entdeckte einen alten Videorekorder und etliche Kassetten. Keine davon war eine Kaufkassette, einige trugen kaum leserliche, handgeschriebene Beschriftungen, auf allen lag eine dicke Schicht Staub. Anna zog aus dem Stapel eine hervor und schob sie in den Rekorder. Bläuliche LED -Anzeigen leuchteten auf. Das Gerät gab ein metallisches Ächzen von sich, bevor es die Kassette schnurrend einsog, noch einmal blinkte, als würde es sich darüber freuen, endlich wieder benutzt zu werden, und mit lautem Klacken und Surren den Wiedergabekopf gegen das Band drückte.
Es begann mit dem Anfang eines amerikanischen Spielfilms aus den fünfziger Jahren. Dann sah sie Laska, den Laska von den Fotos, mindestens dreißig Jahre jünger als jetzt. Er lachte in die Kamera. Hinter seinem Rücken waren auf einem asphaltierten Parkplatz zahlreiche Fernrohre aufgebaut. Menschen, hauptsächlich Männer, standen oder saßen neben ihren Teleskopen und sahen erwartungsfroh in den Himmel. Das Licht war schwach, es dämmerte, und der Kameramann schaltete eine Lampe ein, während Laska, ein Bier in der Hand, aufgeregt davon erzählte, wie es dort zugehe (auf dem Parkplatz) und was für ein einmaliges Ereignis das sei und wie ebenso einmalig er die Stimmung finde. Das, so sagte er, gebe es nur einmal im Leben. Anscheinend hielt er sich wieder in einem südlichen Land auf, er trug ein khakifarbenes kurzärmliges Hemd. Braun gebrannt und schlank sah er eigentlich ganz gut aus. Im Hintergrund konnte man ein paar Palmen sehen.
Ohne dass sie erfahren hätte, was das einmalige Ereignis gewesen war, brach die Sequenz unvermittelt ab. Für ein, zwei Sekunden dehnte sich das Bild zitternd, fing an zu rotieren und ging in die tonlose Wiedergabe der Abendnachrichten des westdeutschen Fernsehens über. Entweder hatte jemand einen Teil der Nachrichten überspielt, oder dieser Jemand hatte die Nachrichten und was darauf folgte über den verbleibenden Rest von Laskas Urlaubsvideo gelegt, sei es, weil ihm davon nur der Anfang wichtig erschienen war, sei es, weil er schlicht das Band nicht zurückgespult hatte. Der Nachrichtensprecher bewegte die Lippen, dann wurde eine
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