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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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wohin.»
    «Ja, ich weiß», sagte er.
     
    Er sei sich nicht sicher, sagte Laska, nachdem er den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte und sie ausgestiegen waren, wo genau das Gefängnis früher gestanden habe. Nach dem Tod des letzten Gefangenen hätten sie es abgerissen und dann planiert und später ein Einkaufszentrum hingebaut, in dem aber kaum Leute einkauften, sodass die Hälfte der Geschäfte wieder zumache. Was sie hier sehe, sei alles, was davon noch übrig sei.
    Anna betrachtete das flache Gebäude des Supermarkts. Ein Mann mit einem kleinen, abgemagerten Hund wartete neben den Reihen der leeren Einkaufswagen. Der Hund lag auf einer grauen Decke und beobachtete, den Kopf auf seinen Pfoten, wie sie näher kamen. Der Mann wirkte ebenso mager wie der Hund, er trug schmutzige braune Cargo-Hosen und eine graue Jacke, und er hatte graues, dünnes Haar. Vor sich hielt er eine Zeitung, die er zum Verkauf anbot. Zu seinen Füßen, die in abgetragenen Armeestiefeln steckten, stand ein Pappbecher, in dem eine Zwanzig-Cent-Münze lag.
    Sie drehte sich zu Laska um, bat ihn um ein Geldstück und legte es dem Mann in den Becher.
    «Fahrn wir», sagte sie zu Laska.
     
    Es dämmerte bereits, als sie die Grenze erreichten. Der Rhein schob sich schwarz und träge unter ihnen hindurch, während sie die Brücke überquerten. Laska hatte die Autobahn verlassen, und sie fuhren durch ein paar Dörfer und weiter auf der Landstraße durch einen Wald.
    «Sind wir jetzt in Frankreich?»
    «Ja.»
    «Ich war noch nie in Frankreich.»
    «Morgen früh werden wir immer noch in Frankreich sein, dann können wir einen Kaffee in Frankreich trinken.»
    Sie hatten nur zweimal kurz angehalten. Jetzt, als die Nacht hereinbrach, wurde Laska müde. Er bog auf einen Waldweg ab und hielt.
    «Ich muss etwas schlafen.»
    «Ja, in Ordnung.»
    «Ich stelle mir den Sitz runter, und du kannst dich auf die Rückbank legen. Da ist eine Decke.»
    «Gut.»
    Inzwischen war es beinahe völlig dunkel. Sie legte sich auf die Rückbank und hörte ab und zu ein Auto oder einen der schweren Fernlaster über die nahe Straße rumpeln, sonst war es still. Eigentlich der ideale Ort, um vergewaltigt und umgebracht zu werden, dachte sie.
    «Schläfst du?», fragte sie ihn.
    «Nein.»
    «Kann ich was fragen?»
    «Natürlich.»
    «Stirbst du wirklich?»
    «Ja.»
    «Ich meine – bald?»
    «Ja.»
    «Hast du Angst?»
    «Noch nicht.»
    «Das ist verrückt.»
    «Was?»
    «Das alles eben.»
    «Na ja, ich habe so was auch schon lange nicht mehr gemacht. Ich meine, mit dem Auto in den Süden fahren und dann nachts auf irgendwelchen Waldwegen oder Parkplätzen schlafen. Aber jetzt geht’s halt nicht anders.»
    «Was machen wir, wenn wir einschlafen und aufwachen, und die Polizei klopft an Fenster und will Papiere sehen?»
    «Wir können ja sagen, du hättest sie verloren.»
    «Mhm.»
    «Oder sie sind dir gestohlen worden.»
    Anna schwieg.
    «Sie sind dir ja gestohlen worden. Warum ihnen nicht einfach die Wahrheit sagen.»
    «Dass ich in Berlin von einem Tschernobyl-Veteranen gekidnappt wurde, der mich abrichten wollte zu Sexsklavin für –», sie suchte nach dem richtigen Wort, «Besserverdiener?»
    «Ja, gut, klingt vielleicht komisch.»
    «Die Polizei wird mich mitnehmen, und du wirst alleine sterben.»
    «Schlaf jetzt.»
     
    Als sie erwachte, flackerten Sonnenstrahlen durch Baumwipfel und hinein in das Auto und glitten über ihr Gesicht. Sie hörte das ruhige, tiefe Brummen des Motors. Eine geraume Zeit lang lag sie einfach so da und dachte mit geschlossenen Augen darüber nach, wie sie hierhergekommen war. Irgendwann waren die Bäume weg und die Sonne schien und ihr Gesicht wurde heiß. Sie richtete sich auf, sah zwischen den Sitzen hindurch nach vorn. Laska hatte die Hauptstraße verlassen. Sie gähnte.
    «Wie spät ist es?»
    «Acht Uhr. Du hast 500  Kilometer geschlafen.»
    «Fahren wir jetzt in ein Café?»
    «Noch nicht.»
    Sie versuchte, die französischen Schilder zu lesen, aber sie verstand sie nicht. Die Straße führte in einen Pinienwald hinein, und als sie das Fenster öffnete, roch es nach Harz und Erde. Laska hielt auf einem Parkplatz unter Bäumen, sie stiegen aus.
    «Komm», sagte er, und sie folgte ihm auf einem Pfad einige hundert Meter weiter durch das Wäldchen, bis sie an einen Abhang kamen. Vor ihnen erstreckte sich ein dreistöckiger Aquädukt, dessen steinerne Bögen sich über einen Fluss spannten. Das Wasser des Flusses war an manchen Stellen

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