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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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blaugrau, dann wieder türkis oder grün und klar in der Nähe der Ufer. «Ich dachte», sagte Laska, «wenn wir schon mit dem Auto unterwegs sind, können wir uns auch was ansehen.»
    «Das ist schön», sagte sie. «Ist es alt?»
    «Zweitausend Jahre. Von den Römern.»
    Anna stieg den Pfad hinab.
    «Wohin willst du?»
    «An den Fluss.»
    «Von hier oben ist der Blick besser», sagte er zögernd, aber schließlich folgte er ihr.
    Unten angekommen, begann sie sich auszuziehen.
    «Du willst baden?» Er starrte sie an und sah dann weg.
    «Warum nicht?», antwortete sie, «hier ist niemand.»
    «Jede Minute kann ein Reisebus eintreffen. Oder gleich mehrere Reisebusse voller –», er überlegte, «Japaner oder Chinesen mit ihren Kameras und riesigen Teleobjektiven zum Beispiel.»
    Sie lachte, stieg über zwei Steine und glitt ins Wasser.
    «Außerdem ist es bestimmt nicht erlaubt», sagte er noch, und dann sah er zu ihr und wieder an ihr vorbei, den Fluss hinab.
    «Komm», rief sie.
    «Nein.»
    «Ich sehe auch nicht hin.»
    «Ist mir zu kalt. Und wir haben keine Handtücher mit.»
    «Ist das letzte Mal», rief sie, «hast du vergessen? Das letzte Mal.»
    Schließlich ging er doch ins Wasser, schwamm einige Züge – von ihr weg – und ließ sich in Rückenlage treiben. Er schaute hoch zu den Bögen des Aquädukts und in den blauen Himmel.
    «Mit wem warst du hier?», fragte sie, aber er antwortete ihr nicht.
     
    Im nächsten Ort parkten sie vor einem kleinen Lokal, stiegen aus und setzten sich an einen der runden Tische, bestellten Kaffee und Croissants.
    «Mit meiner Frau», sagte Laska plötzlich, «mit meiner Frau war ich schon mal hier. Aber das ist ewig her.»
    «Wart ihr glücklich?»
    «Ich denke schon, ja.»
    «Was soll das heißen, du denkst das?»
    «Ich kann mich daran erinnern, dass wir davon sprachen, glücklich zu sein, aber an das Gefühl kann ich mich nicht erinnern.»
    «Und dann sie ist gestorben, deine Frau.»
    «Nein, nein. Als sie starb, gingen wir schon lange getrennte Wege. Wir waren seit zehn Jahren geschieden, als sie starb.»
    «Und was ist mit deinem Sohn?»
    «Lassen wir das.»
    «Wie willst du mir das Geld geben?»
    «Wie bitte?»
    «Wenn du tot bist, wie willst du mir das Geld geben?»
    «Ich – also ich …»
    «Vielleicht du tust es in kleinen Scheinen in einen Safe mit Zahlenschloss, wie im Film. Und dann sagst du dem Arzt die geheime Nummer, und wenn du tot bist, sagt er mir die Nummer.»
    Er sah sie an, öffnete den Mund, erwiderte aber nichts.
    «Andererseits – wer versichert mir, dass der Arzt sich nicht selbst das Geld nimmt, wenn er die Nummer hat?»
    «Das wäre strafbar», warf Laska vorsichtig ein.
    «Ach? In Ukraine würde sich der Arzt das Geld nehmen und nicht bestraft werden. Ist das bei portugiesischem Arzt anders? Hast du überhaupt einen portugiesischen Arzt?»
    «Es gibt einen, zu dem ich schon lange gehe, immer wenn ich in Portugal bin.»
    «Kannst du ihm vertrauen? Im Fernsehen haben sie gesagt, die Portugiesen haben kein Geld mehr.»
    «Ja?»
    «Und dass die Deutschen ihnen kein Geld mehr leihen wollen.»
    «Aber das hat doch damit nichts zu tun.»
    «Also, ich als dein portugiesischer Arzt würde mir nehmen das Geld und der Frau einen Tritt in den Hintern geben.»
     
    Sie erreichten die spanische Grenze am frühen Nachmittag. Langsam fuhren sie auf die leeren Buden der Grenzer zu. Neben einer lehnte ein Polizist an seinem Wagen, und als sie mit Schrittgeschwindigkeit vorüberrollten, bückte er sich etwas und sah ins Wageninnere, sah erst Laska, dann Anna, und ihr war, als wollte er seine Hand heben, um sie anzuhalten, was er aber dann nicht tat. Schon waren sie an ihm vorbei.
    «Jetzt sind wir in Spanien», sagte er, als spräche er mit einem Kind.
    «Ich war auch noch nie in Spanien.»
    Dann schwiegen sie, bis Anna – zwanzig Kilometer weiter – fragte: «Hast du dir schon gemacht eine Liste?»
    «Was für eine Liste?»
    «Was du alles machen willst zum letzten Mal. Eine Liste der letzten Dinge.»
     
     
    Sie fuhren durch schlafende Dörfer mit großen Ampelanlagen, die für den Ansturm der Touristen im Sommer gebaut waren, jetzt, außerhalb der Saison, aber nutzlos wirkten. Einmal trottete ein Hund an einer Reihe geschlossener Geschäfte entlang, ein anderes Mal erblickten sie eine alte Frau, die an einer der Ampeln stand, obwohl deren gelbes Licht unentwegt blinkte. Feriensiedlungen tauchten links und rechts der Straße auf, doch auch sie schienen

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