Bis zum Ende der Welt
Rationen ausschlaggebend seien.
Die Gefangenen bekamen nun auch unter dem sowjetischen Direktor genug zu essen, allerdings einen Monat lang das Gleiche: Kartoffeln in «deutscher Tunke» nannten sie es.
Der sowjetische Stadtkommandant versuchte, seinen westalliierten Kollegen nach all den Klagen über unangemessene Härten auch in puncto Menschlichkeit ein klein wenig entgegenzukommen. Zwar wollte er seinen Gefängnisdirektor nicht einfach entlassen, aber er stellte ihm einen freundlichen, sympathischen Stellvertreter an die Seite, Leutnant Konew, das lachende Gesicht der Roten Armee in Berlin.
Und da auch die Amerikaner die ewigen Vorwürfe der sowjetischen Kommandantur leid waren, sie würden mit den Gefangenen zu lax umgehen, und während der langen, grauen Regenzeit des Kalten Krieges ebenfalls «schönes Wetter» machen wollten, sahen sie sich nach dem Ende der Dienstzeit ihres Direktors nach einem neuen um und schickten Colonel Spikes nach Spandau.
Spikes war im Krieg Kompaniechef einer Fallschirmspringereinheit gewesen. Ihm eilte der Ruf grausiger Effizienz voraus, es hieß, er habe nach der Invasion in der Normandie eigenhändig deutsche Gefangene erschossen, damit sich der Vormarsch seiner Truppe nicht verlangsamte, sei aber nie dafür belangt worden. Eine stattliche Reihe im blutigen Kampf erworbener Orden zierte seine Uniform.
Nach einem verregneten «sowjetischen» November hatten die Gefangenen alle Hoffnung auf den vorweihnachtlichen «amerikanischen» Dezember gerichtet, doch als Colonel Spikes sie bei leichtem Schneefall im Gefängnisgarten antreten ließ und als Naziarschgeigen begrüßte, ahnten sie, dass es aus war mit der Besinnlichkeit.
Spikes trug immer einen matt schimmernden, olivfarbenen Stahlhelm, den er so aufsetzte, dass seine Augen im Schatten der Helmkante lagen und Untergebene wie Gefangene nur seinen Mund sehen konnten, obwohl sie seinen Blick sehr wohl spürten. Und er trug ein Pistolenhalfter mit einem 45 er Colt darin. Kein anderer Direktor trug eine scharfe Waffe. Natürlich konnten die sieben Gespenster davon ausgehen, dass er seine Waffe niemals gegen sie richten würde (er hasste Papierkram), das heißt …
«Colonel Spikes schikaniert die sieben nicht offensichtlich», meldete Konew seinen Vorgesetzten, «seine Methoden sind subtil.»
Was hatte Spikes bei der feierlichen Wachablösung zu seinem sowjetischen Amtskollegen gesagt? «Ich werde alles genau so machen wie Sie – nur besser!»
Gerade erst aus Korea zurückgekommen, ersetzte er das monotone Kartoffelessen mit deutscher Tunke durch die sogenannten «Asiatischen Wochen»: Es gab Reis mit Gemüse, morgens, mittags, abends. Lediglich Nummer 7 , der verrückte Pilot, ein Vegetarier, der ständig annahm, man wolle ihn vergiften, konnte diesem Speiseplan etwas abgewinnen. «Kein Wunder», kabelte Konew, «der Reis ist praktisch nicht gewürzt.»
Als die Gefangenen murrten, baute sich Spikes im Garten vor ihnen auf und sagte: «Ihr habt ja keine Ahnung, ihr dummen Kartoffelfresser, wie viele Menschen auf der anderen Seite der Erde sich von der Hälfte dessen ernähren müssen, was ihr tagtäglich in euch reinstopft. Wenn ihr wüsstet, was die Leute dort essen, weil sie sonst nämlich nichts zu essen haben!»
Erst zu Weihnachten wurden die «Asiatischen Wochen» aufgehoben. Es gab Knödel mit Gulasch.
«Das war vorzüglich», bedankte sich der Architekt bei Spikes, «war das – Wild?»
Da verzogen sich die Lippen unter der Stahlhelmkante zu einem dünnen Lächeln. «Sagen Sie», fragte Spikes, «was ist eigentlich aus Hitlers Hund geworden?»
Als das Jahr sich dem Ende zuneigte, fanden sich die Gefangenen im Garten einem sowjetischen Wärter gegenüber, den sie noch nie zuvor gesehen hatten. Das war ungewöhnlich, denn sonst bekamen sie es immer mit, wenn vom Wachpersonal jemand ausgetauscht wurde. Dass während des amerikanischen Monats ein Russe bei ihnen auftauchte, werteten zumindest einige von ihnen als Zeichen, dass sich draußen «etwas bewegte». Manche hatten Anträge auf vorzeitige Entlassung gestellt, aber nie Antwort erhalten. Also fragten sie den neuen Wärter, einen Jüngling mit bleicher, fast durchscheinender Haut: «Haben Sie was gehört? Wann kommen wir hier raus? Müssen wir die ganze Strafe absitzen?» Ihr Bewacher lächelte nur und schwieg.
Am Tag vor dem Jahreswechsel aber kam er am Abend, nachdem das Licht schon gelöscht worden war, noch einmal zu jedem in die Zelle. Alle nahmen sie an,
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