Bis zum Hals (T-FLAC) (German Edition)
Trevor in einem schäbigen Hotel am Wasser aufgespürt. Tally war verschwitzt, ihr war heiß, und sie hatte Durst nach dem langen Flug. Und die Gerüche und die Geräusche der Stadt ängstigten sie. Aber sie war glücklich, ihren Daddy zu sehen. Er hatte ihr recht grob den Kopf getätschelt, was ein bisschen wehtat. Dann hatte er sie vergessen. Trotzdem war er irgendwie glücklich, ihre Mutter wieder zu sehen. Er und Mama hatten sich mitten in der Lobby des International Hotel geküsst. Tally war zu einem Stuhl neben der Tür gegangen, um sich hinzusetzen. Sie machte sich so klein wie möglich, behielt aber ihre Koffer im Auge. Sie wusste, dass manche Menschen anderer Leute Gepäck stahlen und sie war ein großes Mädchen, das Verantwortung übernehmen musste. Nach einer Weile gingen sie alle zusammen hinauf in Daddys Zimmer. Sehnsüchtig schielte Tally zu dem großen Bett rüber. Sie war so müde.
Daddy nahm sie hoch und Tally legte ihren Kopf an seine wunderbar starke Brust und schloss die Augen. Jetzt, wo sie bei ihrem Daddy war, würde alles wieder gut. Er roch köstlich, irgendwie würzig und süß, und sie atmete seinen Duft tief ein. Es erfüllte sie mit Zufriedenheit, von seinen starken Armen getragen zu werden.
»Da kann sie eine Weile drinbleiben«, sagte Daddy und schob sie in den Wandschrank. Die Tür schlug zu.
Sie saß auf dem Boden in der heißen, stickigen Dunkelheit. Tally hatte Durst und war noch nicht zur Toilette gegangen. »Daddy? Lass mich rauuus …«
Über ihr eigenes Schluchzen hinweg hörte sie jeden Atemzug, jedes einzelne Stöhnen und das Knarren des Bettes, während ihre Eltern sich miteinander vergnügten. Ihre Hände schmerzten vom ständigen Schlagen gegen die Tür. Sie trat mit den Füßen dagegen, bis ihre Beine wehtaten. Schließlich, als sie keine Tränen mehr hatte, lag sie, zusammengerollt zu einem Ball, auf dem Boden und presste ihr Gesicht gegen den Spalt unter der Tür. Mami würde ausrasten. Tally hatte sich in die Hosen gemacht, weil sie nicht mehr warten konnte.
Dann hörte sie das Rauschen der Dusche und der Toilettenspülung. Sie rief nach ihrer Mami. Mami sagte: »Schsch, schlaf jetzt«, als wäre sie wirklich ausgerastet. Tally bekam mit, wie sie sich fürs Abendessen umzogen, und lauschte der Furcht einflößenden Stille, als sie gegangen waren. Später kamen sie zurück, und dann knarrte wieder das Bett. Aber sie ließen sie nicht heraus.
Die ganze Nacht kauerte Tally in dem stockdunklen Wandschrank und den ganzen nächsten Tag. Bis Daddy schließlich seinen Koffer endgültig packte und ging. Ihre schluchzende Mutter verfrachtete sie in ein Flugzeug nach Hause. Tally hatte nichts dagegen heimzufliegen. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, in dem Wandschrank eingesperrt gewesen zu sein.
Bis jetzt.
»Ach, du elende Scheiße«, sagte Tally laut. Die plötzlich kristallklaren Erinnerungen überwältigten sie förmlich. »Wer hätte geahnt, dass so etwas zu Tage gefördert wird, wenn man zusammengeschlagen, entführt, beschossen, verfolgt, in einer Höhle eingesperrt und fast ertränkt wird?« Diese letzten paar Tage hatten ihr anscheinend mehr gebracht als irgendeine langwierige, kostspielige Therapie.
Aber wenn sie ein von Neurosen freies Leben genießen wollte, sollte sie sich jetzt lieber schnell überlegen, wie sie hier rauskam.
»Was für Schäden sind entstanden? «, fragte Church am Telefon. Er sprach offensichtlich mit einem der Männer, die er losgeschickt hatte, um die Waffen und die Munition zu bergen.
Aus der Froschperspektive warf Michael einen raschen Blick aus seinem zugeschwollenen gesunden Auge auf die Füße des Mannes, der von einem Ende des Plastiktuchs zum anderen marschierte. Die Männer stiegen über Leli’as Leichnam, als sei sie nichts weiter als ein Möbelstück.
»Wie lange braucht man, um durchzubrechen? « Church lauschte stumm. »Inakzeptabel! Sie haben weniger als eine Stunde. Nehmen Sie so viele Männer wie nötig. Aber erledigen Sie den Job! «
Himmel. War mit Tally alles in Ordnung?, fragte Michael sich mit geschlossenem Auge. So zu tun, als sei er bewusstlos, könnte ihm ein bisschen Zeit verschaffen, um wieder zu Kräften zu kommen. Er hatte schon schlimmere Situationen überlebt, von denen er später berichten konnte. Dies hier war jedoch deshalb anders, weil Tally auf einmal Bestandteil des Pokerspiels wurde. Er hatte nicht an Tally gedacht, als er den Sprengstoff gelegt hatte.
Das tat er jetzt.
Church hatte Bouchard
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