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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Blick zur Smirnoff-Pulle an.
    Ich winkte Danny.
    Wenn das so weitergeht, dachte ich, wenn auch seltsam heiter ob der Aussicht, wenn das so weitergeht, dann hol ich mir hier noch einen lahmen Arm.
    »Sag mal, Leonid«, fragte ich im vollen Bewusstsein, etwas anderes fragen zu wollen und munter dabei zu sein, den Faden zu verlieren, »wenn du Professor bist und Doktor und Atomphysiker und ich weiß nicht was noch, wieso arbeitest du dann hier als Übersetzer?«
    »Sprachlehrer«, korrigierte er mich und prostete mir zu. »Übersetzer, das ist so nebenbei.« Ein Ruck, ein Schluck, und weg damit. So langsam fand ich meinen Rhythmus. Der Knall und der Blick und das Blut und dieser ganze Horror rückten mit jedem Glas ein Stück weiter weg. Ja, ich fühlte mich frisch wie den ganzen Tag noch nicht und irgendwie hingezogen zu diesem sympathischen Menschen neben mir. Kann überhaupt nur mit Rauchern und Trinkern, und scheiß mir doch einer auf die ganzen Asketen.
    »Ach Kristof«, seufzte Leonid in sein leeres Glas, und mein Arm zuckte nur so in die Höhe, um Danny zu winken. »Mein Doktortitel. Zwölf Jahre Arbeit, zwölf lange Jahre, doch so ein schönes Dokument! Du solltest es sehen, Kristof. So schön. Ich war so stolz. Aber zu Hause, da kommen heutzutage zehn Atomphysiker auf eine freie Stelle, und wenn du eine Arbeit hast, dann bezahlen sie dich nicht, und falls doch, dann immer zu wenig für alles.«
    »Da kenn ich was von«, flocht ich ein, und wir stießen an auf diese beschissene Abhängigkeit von anderer Leute Geld. Ist doch überall das Gleiche, und das kalte Kotzen könnte einem kommen, wenn man nur eine Sekunde drüber nachdenkt.
    »Also bin ich nach Deutschland. Bloß, Kristof, wie soll ich sagen? Russische Atomphysik und deutsche Atomphysik ist nicht dasselbe. Ist kompliziert. Ist Politik. So, und nun, was kann ich also machen mit meinem Diplom, schön, wie es ist? Den Arsch kann ich mir wischen, Kristof.«
    Leonid nickte ein Weilchen, senkte den Blick in sein Glas, stellte fest, dass es leer war, sah auf und winkte Danny.
    *
    Das Telefon bimmelte, ich hob ein Lid, und die Katze sprang augenblicklich auf die Tasten ihrer missgestimmten Heimorgel.
    »Ja?«, fragte ich in den Hörer und warf mit dem Kissen nach dem nervenden Biest.
    »Menden.« Wenn es irgendjemand versteht, einen Eindruck abgrundtiefen Misanthropentums mithilfe gerade mal der Nennung seines Namens zu vermitteln, dann unser Hauptkommissar. »Ich erwarte Sie in zwanzig Minuten in meinem Büro.« Und aufgelegt.
    Glück gehabt, sagte ich mir und schwang die Beine aus dem Bett. Da hast du ja gerade noch mal Glück gehabt, gestern Abend. Das hätte schlimmer enden können.
    Okay, ich war wieder mal an den Schuhen gescheitert und deshalb ein weiteres Mal voll angekleidet ins Bett gefallen, und doch …
    Sicher, ich war ein wenig wacklig auf den Stelzen und etwas zittrig in den Griffeln, und doch …
    Schon wahr, ich hatte einen Schädel, durch den sich das Janken der Katze sägte wie ein Fuchsschwanz durch ein rohes Ei, und doch …
    Gut, ja, aus dem Spiegel blickte mir etwas entgegen, das aussah wie ein Fahndungsfoto unter der Überschrift »LEICHENFUND«, und doch …
    Und doch konnte ich mich noch glücklich schätzen. Nicht auszudenken, in was für einem Zustand ich mich befände, wenn Keeper Danny nicht so ein ausgesprochen geldgieriger und misstrauischer Hund wäre.
    Ich kratzte den mageren letzten Rest aus der Dose, mengte heimlich noch etwas Trockenfutter bei, knatschte alles mit der Gabel durcheinander und stellte es der Katze hin.
    Nicht auszudenken … Leonid hatte mich gerade beidarmig bei den Schultern gepackt gehabt und mir feierlich erklärt, dass er mir jetzt einen ganz berühmten russischen Tanz und bei der Gelegenheit auch gleich noch das vielleicht schönste russische Trinklied beibringen werde.
    Das Mistvieh musterte den Inhalt seines Napfs und sah dann mit einem Ausdruck solch bodenloser Verachtung in ihren Sehschlitzen zu mir auf, dass ich mir tatsächlich meine Jacke griff und mich auf den Weg zum Supermarkt machte. Da ist keine Wärme in dem Herzen dieses Tieres. Jedenfalls solange man es nicht seinen Ansprüchen genügend versorgt.
    Tanzen und Singen, ja. Das wollte Leonid mit mir. Und das Schlimme war, ich fand das eine ganz wundervolle Idee. Zu singen, und zu tanzen, ja. In aller Öffentlichkeit. Es ist furchtbar, was Alkohol aus einem Menschen machen kann.
    Ich muss unbedingt nächste Tage mal meinen Deckel bei Danny

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