Bis zum Hals
richtigen Leuten die richtigen Fragen zu stellen, anstatt daran zu arbeiten, meine Unschuld zu beweisen, lasse ich zu, dass man mich mit Versandhaus-Katalogen zu erschlagen oder mit Alkohol zu vergiften versucht und mir das Auto umschmeißt, dass mir der ganze Kaffee über die Hose pladdert … und … und jetzt stehe ich hier und babble wie ein Idiot«, kam ich mühsam zum Ende.
»Vielleicht sollten wir hineingehen«, schlug sie vor, und ich nickte wieder und kämpfte mit Füßen, die im Estrich Wurzeln geschlagen hatten. Also ging sie vor und hatte sich schon nach der immer noch penetrant quäkenden Katze gebückt, ehe ich warnend eingreifen konnte. Das hat sie nicht gerne, bei Fremden. »Nicht …«, versuchte ich es doch noch, da hatte sie die Katze schon hochgehoben und – ich sog zischend Luft zwischen den Zähnen hindurch wie der unwillkürliche Zeuge eines nun nicht mehr zu stoppenden Desasters – rücklings auf ihren Unterarm gewuchtet. Das hasst sie, das kann man sich nicht vorstellen.
Alles Quäken verstummte, und ich wappnete mich innerlich für Fauchen, Spucken, Bisse, Schwünge mit langen, scharfen Krallen, gefolgt von Schreien.
Nichts geschah.
Stattdessen blickte dieses tückische Mistvieh nur mit halbgeschlossenen Augen einmal vielsagend zu mir rüber und begann, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ich auch alles mitbekam, lauthals zu schnurren.
»Was für ein niedliches kleines Kätzchen«, fand meine Besucherin. Sie war definitiv keine Deutsche und sprach mit einem ungewöhnlichen, schwer zu definierenden Akzent. Harte, geradezu kratzige Rs standen in völligem Kontrast zu den anderen Konsonanten, die weich und rund wie über ein Karamellbonbon hinweg gesprochen daherkamen.
Bestrickend, wie alles an ihr.
»Hat sie auch einen Namen?«
Ich zögerte kurz. »›Miststück‹«, antwortete ich dann. »Und wir … wir hassen uns«, schickte ich hinterher. Denn eins hab ich mir schon immer geschworen: Sollte ich jemals noch mal der Frau meines Lebens begegnen, ich werde vom ersten Augenblick an absolut ehrlich mit ihr sein.
Sie lächelte, ungläubig, als ob ich das gerade unmöglich ernst gemeint haben könnte. Als ob jemand wie ich ja wohl kaum fähig wäre, so ein bezauberndes Pelztier zu hassen. Bevor ich sie in meiner Kampagne absoluter Aufrichtigkeit vom Gegenteil überzeugen konnte, setzte sie die Katze auf dem Bett ab und sah mich ernst an.
»Mein Name ist Anoushka Jalnikowa«, stellte sie sich vor. »Ich brauche jemanden, der mir bei der Suche nach meinem Mann hilft. Er heißt …«
Doch da wusste ich den Namen schon, und ein Blitz entlud sich im Raum zwischen meinen Ohren, während ich nach der Türklinke griff, für Halt.
»… Dimitrij, Dimitrij Jalnikow. Er hat sich seit mehreren Tagen nicht mehr bei mir gemeldet, und ich bin in großer Sorge um ihn.«
Sie nahm es gefasst. Erstaunlich gefasst. Vielleicht hatte sie schon etwas geahnt, befürchtet, vielleicht schon länger. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie meine erst zögernde, radebrechende, dann ruckartige Offenbarung, dass es ihr Mann war, den ich vor drei Nächten mit dem Auto angefahren und dabei getötet hatte, mit nichts als einem Schlucken und einem ratlosen Blick aus runden, tiefen Augen aufnahm. Ja, das war es. Völlige Ratlosigkeit, komplette, schlagartige, bodenlose Verlorenheit.
Schuldgefühle und Bestürzung überschwemmten mich, drängten mich, etwas zu sagen, etwas zu tun, und lähmten mich zur gleichen Zeit. Da war nichts zu sagen, nichts zu tun, was sie von diesem Schmerz befreien könnte, nicht hier, nicht jetzt. Nicht von mir.
Mitten im lastenden Schweigen drehte ich mich plötzlich um und spie mehrere Schübe einer Substanz, die in Farbe und Konsistenz, wenn auch nicht dem Geschmack nach an Kaffeesatz erinnerte, unter peinvollen Krämpfen in mein Spülbecken.
Irgendwie riss sie das weit genug aus ihrem Schock, um heranzutreten und einen Blick zu riskieren.
»Das sieht nicht gut aus«, stellte sie fest.
Da hatte sie vollkommen recht. Trotzdem wollte ich das mannhaft herunterspielen, da dimmten meine Lichter ab und ich fiel mehr, als dass ich ging, von der Spüle hinüber aufs Bett, und zwar nur Sekunden, bevor es mich runter aufs Parkett gerissen hätte.
»Frau Jalnikowa«, presste ich hervor …
»Anoushka«, korrigierte sie mich ruhig.
»Anoushka, man hat Dimitrij umgebracht. Zwei Männer. Ich werde sie finden, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Falls nicht schon diese
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