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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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so was tut kein richtiger Russe.«
    »Vielleicht hatte er etwas zu verbergen? Vielleicht hatte er Besuch?«
    Leonid schüttelte wieder das lange Gesicht. »Ich weiß nichts von Besuch. Und es war ein schönes Fläschchen.«
    Die Einladung auszuschlagen, sich mit einem bis dato Wildfremden nach flüchtiger Begrüßung unverzüglich gemeinsam von den Beinen zu reißen, schien unter Russen als gesellschaftlicher Fauxpas größeren Ausmaßes zu gelten.
    »Er hatte nie Besuch? Wozu hat er dann so einen großen Kasten gemietet? Mit gleich sieben Schlafplätzen?«
    Leonid zuckte nur die Achseln, offenbar bis übers Grab hinaus verbittert über die Erinnerung an diesen Affront.
    Langsam umrundete ich das Mobilheim in großem Bogen. Es stand am hinterletzten Ende des Geländes, nahe am Zaun und durch diverse windschiefe Flechtzaunelemente einigermaßen vor den Blicken der Nachbarn geschützt.
    Die nahe Autobahn rauschte beständig, sorgte für eine eigenartige Form von Stille. Ein schmaler Trampelpfad führte ins Gebüsch, durch ein schmales Loch im Zaun und mäanderte von da aus mehr oder weniger direkt auf das Rauschen zu. Keine zweihundert Meter weiter endete der Pfad an einem obskuren, ungepflegten, wenig besuchten und offenbar nur hin und wieder als Freilufttoilette genutzten Autobahnparkplatz.
    Raus aus dem Auto, rein ins Gebüsch und nach denkbar kurzem Fußmarsch hinein in einen diskreten Wohncontainer.
    Mir war, als ob Dimitrij im Begriff gewesen wäre, eine Art Beherbergungsbetrieb aufzubauen. Auch illegal eingeschleuste Personen müssen schließlich irgendwann mal irgendwo schlafen, bevor es für sie weitergeht an ihre Bestimmungsorte. Oder vielleicht plante er, ein Autobahn-Bordell zu eröffnen?
    Doch warum sollte ihn das eine oder das andere das Leben gekostet haben? Vor allem, noch bevor der Betrieb überhaupt angelaufen war?
    Ich bahnte mir meinen Weg zurück, vorsichtigen Schrittes die fliegenumsurrten Scheißhaufen umkurvend.
    Leonid hatte sich inzwischen verzogen, wahrscheinlich zurück zu Hängematte, Buch und Fläschchen, und ich ließ mich noch mal ein in die triste, brütend heiße Behausung. Sah mich um. Tatsache war, dass überhaupt nichts auf die bevorstehende Unterbringung von Leuten hindeutete. Im Kühlschrank fanden sich gerade mal drei Eier, ein Stück Schafskäse und zwei Flaschen Cola.
    Mir ging mein Irrtum auf. Mir ging auf, dass die Anzahl der Betten einfach nur Zufall war, etwas, das in der Bude herumstand, ohne notwendigerweise zur Entscheidung für die Anmietung beigetragen zu haben. Das ganze Ding hier war einfach ein unauffälliger Ort mit fußläufiger Anbindung direkt an die Autobahn. Perfekt für konspirative Treffen oder zur Zwischenbunkerung handlicher Materialien in überschaubaren Mengen. DROGEN war, was sich mir als erster Gedanke aufdrängte. Narben am ganzen Körper der zweite. Dimitrij hatte in etwa das richtige Alter, um einst wie üblich direkt von der Schulbank in die Uniform und ab nach Afghanistan gewehrpflichtet worden zu sein. Viele dieser, wenn überhaupt, dann häufig traumatisiert und desillusioniert zurückgekehrten Rekruten machten sich später die im Feindesland geknüpften Kontakte zunutze und fingen an, das einzige in nennenswerter Menge und Qualität hergestellte Produkt der Region am Hindukusch nach Russland zu importieren. Und von da aus weiterzuverschicken …
    Und noch während ich darüber grübelte, wo ich an Dimitrijs Stelle in dieser Hütte ein paar extrem wertvolle Kilos sicher unterbringen würde, bekam ich aus dem Augenwinkel mit, dass draußen jemand, mehr oder weniger meinen Fußstapfen folgend, durch das Gebüsch geschlichen kam.
    Es war ein abgerissener, hagerer alter Knochen mit kurzgeschorenem weißem Bart, einer Gesichtshaut wie eine Alpenkarte in einem Schulatlas und einer knapp den Hinterkopf bedeckenden Pudelmütze, die aussah, als ob er sie seit zwanzig Jahren nicht mehr abgenommen hätte. Er versuchte, sich möglichst natürlich zu verhalten, doch kannte er meine Beobachtungen zum Thema Watscheln nicht, und eine gewisse, lauernde Vorsicht war ihm nur allzu deutlich anzumerken. Die Frage, wonach genau er wohl suchte, beantwortete mit einiger Plausibilität die blaue Mülltüte in seiner Hand. Wahrscheinlich ein Pfandflaschensammler, wahrscheinlich harmlos, aber trotzdem im Begriff, ausgerechnet da herumzustöbern, wo ich selbst bis jetzt noch nicht nachgesehen hatte, und das war der offen liegende Bereich hinten unter dem Aufbau. Da, wo

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