Bis zum Hals
gönnerhaft.
»Und nun: Ihren Fahrschein!«
Also zeigte ich ihr meinen. Meinen Ausweis, meine ich. Den mit dem goldenen Plastikwappen, und ich zeigte ihn ihr außerordentlich kurz und verstohlen.
»Hufschmidt, Kriminalkommissariat Mülheim«, raunte ich und blickte dabei in die mittlere Distanz. »Ich befinde mich mitten in einer Observation. Also gehen Sie mir aus der Sonne.«
Sie nickte beeindruckt und zog beflissen weiter, den nächsten Fahrgast anranzen. Im Endeffekt wollen sie doch alle von der Polizei geliebt werden, verstehe einer, warum. Dachte ich. Doch sie holte nur ihren Kollegen.
Mit ihm im Rücken verlangte sie noch mal meinen Dienstausweis zu sehen, was ich kalt verweigerte, dann fing sie wieder mit dem Fahrschein an, worauf ich ihr mit einer Anzeige wegen Behinderung bei der Amtsausübung drohte, daraufhin wollte sie die Bullen rufen und ging so weit, mich am Arm festzuhalten, so dass ich mich gezwungen sah, sie mit der Handfläche gegen die Stirn, gegen die Nase ihres Kollegen und damit beide rücklings in eine sitzende Gruppe Rentner zu schubsen, die der Auseinandersetzung bis dahin mit sichtlichem Vergnügen gefolgt waren, anschließend die Türen aufzuzerren und mir beim Aussteigen fast den Hals zu brechen, weil die verfluchte Bahn inzwischen natürlich wieder angefahren war.
»Und dafür auch noch zahlen?«, brüllte ich ihr hinterher. »Ich bin doch nicht bekloppt!«
Essen-Hageroth lag im Koma, als ich den gelb verdorrten Rasen querte, an der Haustür klingelte und der weiblichen Verlockung in Person mit meinem schmalsten und schiefsten Grinsen begegnete.
»Kristof! Du! Irgendjemand muss mein Flehen erhört haben!« Ein kurzer, bunter Hauch von Stoff umwehte ihre ranke Gestalt, nur so eben am Herabschweben gehindert von einem einsamen Spaghetti-Träger, und das war’s. Davon abgesehen war sie nackt, bloß, barfuß. Und auf eine wundervoll relaxte, elastische, geschmeidige Art betrunken.
»Komm rein, mein Held, und lass mich dich verderben.«
Marion hat sich auf rätselhafte Weise von der Bergarbeitertochter zur perfekten eleganten Schlampe gemausert. Ich hab sie noch nie erlebt, ohne dass nicht mindestens einer ihrer Fingernägel abgebrochen, ihr Make-up kaum merklich verschmiert und ihr Haar verwuschelt wie gerade aus dem Bett gewesen wäre. Ich wusste, dass sie nebenher einen Haushalt und eine kleine Import-Firma für Duftstoffe führte, doch waren das Tätigkeiten, bei denen sie sich nie erwischen ließ. Der Duft, der sie heute umwehte, als sie auf ihren langen Haxen vor mir her zur Küche stelzte, zerrte mich ihr hinterher, wie es ein Ring durch die Nase, ein Stachelhalsband ums Genick und eine Drahtschlinge um die Klötze zusammen nicht hingekriegt hätten.
»Trink was mit mir«, forderte sie mit Schmollmund und griff zu einem Glaskrug voll mit Eis und einem blassbraunen Getränk, das ich selbst auf die Distanz unzweifelhaft als gefährlich hochprozentiges Kaktus-Destillat erkannte.
Es wurde Zeit, die Notbremse zu ziehen.
»Äh, Charly da?«, brachte ich hervor, wenn auch, seien wir ehrlich, etwas krächzend.
»Du weißt es noch nicht.« Sie fuhr abrupt zu mir herum, und ihr zerzaustes Haar fuhr der Drehbewegung hinterher und dann noch ein bisschen weiter bis über ihr eines Auge. Ungeduldig griff sie hoch, strich es sich hinters Ohr, zeigte eine samtige Achsel und einen kecken Nippel dabei, und für einen Sekundenbruchteil kam ich nahe daran, den Krug zu packen und mir den Alk in den Hals und das Eis vorn in die Hose zu kippen. »Er hat mich verlassen.«
Das war nicht wahr. Das war eine absolut schamlose Lüge. Charly Zimmermann würde sich eher von seinem linken Bein trennen, mittels rostiger Säge und ohne Betäubung, als von diesem Luder, doch der Schlafmangel, die Hitze und die streckenweise doch recht hohen Adrenalinausschüttungen der letzten Tage resultierten bei mir in einer vernunftresistenten Geilheit, die mir den Schädel lahmzulegen und dem Trieb das Kommando zu überlassen drohte. Da war ein Teil meines Hirns, der ihr einfach glauben, der sie greifen und mit ihr augenblicklich und an Ort und Stelle all die Dinge tun wollte, die sich mit Anoushka zurzeit beim besten Willen nicht ausleben ließen. Und dann noch ein paar mehr.
»Für eine andere.« Und ihre Lippen zitterten wie ihre Lider flatterten.
»Dieser Sack«, entfuhr es mir. »Hab ich dich nicht immer vor ihm gewarnt? Marion, wenn du jemanden brauchst, der dich … äh, mit dem du … äh, ich meine,
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