Bis zum Horizont
in sich zusammen und schluchzte: »Bitte hilf mir.«
Ich nahm meinen Rucksack ab und lief, so schnell ich konnte, zu ihr. Ich kniete mich hin, schlang die Arme um sie und zog sie an mich. Sie drückte ihr Gesicht an meine Brust und weinte.
Achtzehntes Kapitel
Wenn du vorhast, jemandes Seifenblase zum Platzen zu bringen, dann solltest du auch beide Hände darunter aufhalten.
Alan Christoffersens Tagebuch
Wir waren beide schneebedeckt, als ich sie zurück in die Wohnung führte. Sie setzte sich auf die Couch und weinte fast eine Viertelstunde lang. Dann wurde sie auf einmal still, und es war nur noch gelegentlich ein Schluchzen zu hören.
Als sie schließlich wieder sprechen konnte, sagte sie mit belegter Stimme: »Du hast mich gefragt, was ich tun würde, wenn ich mit den Filmen fertig wäre. Nun, nach dem letzten Film wollte ich noch einmal ausgehen und alles essen, worauf ich Lust hätte, zum Beispiel ein großes Bananensplit mit Karamell und Schlagsahne und einer Kirsche obendrauf.« Sie blickte mir in die Augen. »Und dann wollte ich nach Hause kommen und mir eine Überdosis Insulin spritzen.«
Sie sagte es so ruhig, dass es einen Augenblick dauerte, bis ich ihren Plan wirklich begriffen hatte.
Sie fuhr fort: »Für einen Diabetiker ist es leicht, sich unbemerkt das Leben zu nehmen. Ich würde einfach in ein hyperglykämisches Koma fallen und sterben, bevor mich irgendjemand finden würde.«
Ich streichelte ihre Wange. »Warum solltest du dir denn das Leben nehmen?«
»Du kennst mein Leben nicht.«
»Ich kenne dich.«
»Nein. Alles, was ich dir erzählt habe war gelogen. Sogar mein Name war eine Lüge. Meinen Namen auszulöschen, war der erste Schritt dazu, mich auszulöschen. Nicole war bereits gestorben.«
»Was ist passiert, Nicole?«
Sie senkte den Kopf. »Das willst du lieber nicht wissen.«
Ich legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es sanft an, bis sie mir in die Augen sah.
Sie atmete einmal tief aus. »Mein Leben fing an, aus dem Ruder zu laufen, als ich achtzehn war. Ich hatte gerade angefangen zu studieren. Filmwissenschaft war mein Hauptfach.« Sie schüttelte den Kopf. »Das nenne ich mal eine vielversprechende Berufswahl.«
Ich drückte ihre Hand.
»Ich lebte damals noch zu Hause. Meine Mutter nahm zu der Zeit einen neuen Job an und lernte neue Leute kennen. Sie veränderten sie. Sie fing an, nach der Arbeit mit ihnen herumzuhängen, in Bars und Clubs zu gehen. Immer öfter kam sie betrunken nach Hause. Mein Dad nahm es einfach hin, er dachte, es sei nur eine Phase. Aber das war es nicht. Nach ein paar Monaten erklärte sie ihm, dass sie sich scheiden lassen wolle. Mein Dad war am Boden zerstört. Er flehte sie an, zu bleiben, aber ihr Entschluss stand bereits fest. Sie waren seit zweiundzwanzig Jahren verheiratet, aber sie behandelte ihn wie einen Fremden. Mein Vater hatte schon immer mit Depressionen zu kämpfen gehabt, und als sie ihn hinauswarf, kam er damit nicht klar.« Tränen traten ihr in die Augen. »Eines Nachts nahm er sich dann das Leben.«
Nicole wischte sich die Tränen aus den Augen. »Diese Zeit habe ich nur noch verschwommen in Erinnerung. Alles ging drunter und drüber. Ich ging nicht mehr aufs College, meine Schwester brannte mit ihrem Freund durch, und dann erklärte mir meine Mutter, dass sie zu einer ihrer Freundinnen ziehen würde und ich mir eine andere Bleibe suchen müsse. Ich brach das College ab und suchte mir einen Job.
Ich hatte keine Ausbildung, daher übernahm ich die Tagschicht in einer Dairy-Queen-Eisdiele. Dort lernte ich Kevin kennen. Er war der Besitzer. Er war fast fünfzehn Jahre älter als ich.«
Sie sah mich mit gequälter Miene an. »Am Anfang sah alles so gut aus. Er hatte sein eigenes Unternehmen, ein Haus und ein schönes Auto. Aber vor allem schenkte er mir Aufmerksamkeit. Okay, ich musste auch einen Preis dafür zahlen, denn er machte mit mir, was er wollte. Aber das war mir egal. Mir war alles egal. Ich wollte nur, dass jemand mich wollte.
Eines Abends erzählte er mir, er sei mit einer anderen Frau verlobt, würde sie aber nicht lieben. Er sagte, dass er mich lieben würde.«
Nicole wischte sich die Tränen ab, die ihr über die Wangen liefen. »Ich wusste, dass es Unrecht war. Ich hätte ihn verlassen sollen, aber das tat ich nicht. Ich hatte solche Angst davor, wieder allein zu sein. Er bat mich, ihn zu heiraten. Ich dachte nicht über diese andere Frau nach oder darüber, wie sehr es sie verletzen würde. Ich machte mir nicht
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