Bis zum Horizont
Augenblick, und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich bin von dem Parkplatz gefahren, ohne auf die Straße zu achten. Dieser Wagen kam aus dem Nichts angeschossen. Die Polizei sagte, der Fahrer sei in einer Vierzig-Meilen-Zone fast achtzig Meilen gefahren.
Er rammte meinen Wagen auf der Fahrerseite, hinten, wo Aiden in seinem Kindersitz saß. Er war sofort tot.« Sie begann zu weinen.
»Ich musste mit einer Rettungsschere aus dem Wagen befreit werden. Ich hatte innere Blutungen, Schnittwunden am ganzen Körper und über zwanzig Knochenbrüche.« Sie senkte den Blick. »Bedauerlicherweise wurde mir das Leben gerettet.«
Engel schluchzte und war nicht in der Lage weiterzusprechen. Als sie schließlich fortfuhr, musste ich mich anstrengen, um sie zu verstehen. »Als ich im Krankenhaus lag, kamen nur zwei Personen, um mich zu besuchen. Eine war die Mutter des Mannes, der den Wagen gefahren hatte. Er war bei dem Unfall ums Leben gekommen, und diese Frau gab mir die Schuld. Ich lag da, außerstande, mich zu bewegen, während sie mich anschrie. Schließlich hörte eine Krankenschwester ihr Gebrüll und rief den Wachschutz. Sie mussten sie aus dem Zimmer zerren.
Die andere Person war Barbara. Sie kam, um mir zu sagen, dass ich ihr Enkelkind getötet hätte. Sie sagte, das sei Gottes Strafe dafür, dass ich einer anderen Frau den Ehemann gestohlen hätte. Sie sagte, sie wünschte, ich wäre stattdessen gestorben.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen. »Was hast du zu ihr gesagt?«
Sie sah zu mir hoch. »Ich sagte, ich wünschte es auch. Ich lag noch immer im Krankenhaus, als mir die Scheidungsunterlagen zugestellt wurden. Meine Handgelenke waren gebrochen, und die Schwester musste den Umschlag öffnen und sie mir vorlesen.«
Engel brach wieder in Tränen aus. »Ich kam zu dem Schluss, dass mein Leben nichts mehr wert war, daher kehrte ich nach Spokane zurück, um es zu beenden.
Als ich dich traf, war ich gerade in Seattle gewesen. Ich wollte noch einmal das Meer sehen. Ich wollte am Bullman Beach stehen, den Wind in meinen Haaren spüren und den Wellen zuhören. Kennst du Bullman Beach?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist in der Nähe von Neah Bay, auf der Westseite des Olympia-Nationalparks.«
»Ja, das kenne ich«, sagte ich. »Da bin ich einmal durchgefahren. Es ist wunderschön dort.«
»Als ich sieben war, habe ich mit meiner Familie einmal dort Urlaub gemacht. Wir haben in einer kleinen Pension am Strand gewohnt. Damals war ich glücklich. Das wollte ich ein letztes Mal sehen.« Sie atmete einmal tief aus. »Damals hatte meine Mutter einen Spitznamen für mich.«
»Wie lautete er?«
Sie sah mir in die Augen. »Engel.«
Neunzehntes Kapitel
Wir Menschen sind geborene Egozentriker.
Es donnert, und Kinder glauben, dass Gott böse auf sie ist, weil sie irgendetwas getan haben. Eltern lassen sich scheiden, und Kinder glauben, dass es ihre Schuld ist, weil sie nicht brav genug gewesen sind. Erwachsenwerden heißt, diese egozentrische Sichtweise zugunsten der Wahrheit aufzugeben.
Dennoch gibt es Leute, die an dieser kindlichen Denkweise festhalten. So schmerzlich ihre Selbstgeißelung auch sein mag, sie glauben lieber, ihre Krisen seien ihre eigene Schuld, denn so können sie glauben, sie hätten die Kontrolle. Damit machen sie sich selbst zu Narren und zu falschen Göttern.
Alan Christoffersens Tagebuch
Ich hielt Nicole über eine Stunde in meinen Armen. Sie kuschelte sich an mich wie ein kleines Mädchen, das Schutz sucht, und vielleicht war sie das ja auch. Zwischendurch musste sie noch einmal weinen, und es dauerte fast zwanzig Minuten, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Als sie sich schließlich aufsetzte, sah sie sehr verletzlich aus.
»Glaubst du, dass Gott mich bestraft hat?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Aidens Tod war nicht deine Schuld. Es war die Schuld des Mannes, der diesen viel zu schnellen Wagen fuhr. Aber ich kann deine Frage gut verstehen, denn nach McKales Tod habe ich mich eine Zeit lang dasselbe gefragt.
Ich hatte einmal eine Angestellte, die eines Tages weinend zur Arbeit kam. Ihr Arzt hatte ihr gerade eröffnet, dass sie keine Kinder bekommen könne. Sie sagte zu mir: ›Das ist Gottes Strafe für mich.‹ Ich fragte sie, warum Gott sie bestrafen sollte. Sie sagte: ›Weil ich nicht in die Kirche gegangen bin.‹ Just an diesem Morgen hatte ich in der Zeitung einen Artikel über eine drogenabhängige Prostituierte gelesen, die festgenommen wurde, weil
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