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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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hatte ihre normalerweise finstere Miene erhellt.
    Ein weiterer Pick-up parkte neben ihm, und Will erkannte seine Nachbarn Neal und Ned Vinson. Will nickte ihnen zu und sah, dass die Brüder ebenfalls schwer bewaffnet gekommen waren.
    »Will?«, fragte Marlys zögernd. »Du klingst seltsam. Was ist los?«
    »Nichts.« Sofort bereute Will den scharfen Unterton.
    »Nimmst du deine Tabletten?«, fragte sie und meinte damit die blutdrucksenkenden Medikamente, die er ständig zu nehmen vergaß.
    »Ja, ja, ich nehme meine Pillen.« Wills Blick folgte den Vinson-Brüdern, die sich mit den Gewehren unterm Arm entschlossenen Schrittes in Richtung Schulgebäude aufmachten.
    »Was ist dann los?«, fragte Marlys, den Tränen nahe. »Ich ertrage es nicht, mir Sorgen um Holly zu machen und um dich und die Kinder. Das ist einfach zu viel.«
    »Es gibt hier nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.« Will versuchte, seiner Stimme einen leichten, lockeren Tonfall zu verleihen. »Augie hat sich ihre Haare rot gefärbt. Sie sieht jetzt aus wie ein gottverdammter Hahn. Ich hatte einfach nur vergessen, was es heißt, einen Teenager im Haus zu haben.«
    »Will, ich weiß, dass noch irgendetwas anderes los ist«, sagte Marlys ernst. »Aber ich bin zu müde, um mich im Moment mit dir darüber zu streiten. Außerdem muss ich zu Holly zurück. Ich rufe dich heute Abend an, und dann bist du besser ehrlich zu mir, okay?«
    »Okay«, stimmte Will zu. Alles andere, was er jetzt sagen könnte, wäre eine Lüge. Früher oder später würde Marlys sowieso herausfinden, was in der Schule vor sich ging. Es war besser, wenn sie es von ihm erfuhr. Nur nicht gerade jetzt.
    »Das ist alles so schwer.« Marlys schniefte.
    »Ich weiß«, stimmte er zu, auch wenn er wusste, dass sie über zwei vollkommen verschiedene Dinge sprachen.

HOLLY
    »Welcher Tag ist heute?«, frage ich meine Mutter, zwischen deren flinken Fingern die Stricknadeln nur so fliegen. Vielleicht der Anfang eines Pullovers. Seltsam, weil es draußen sonnig und um die dreißig Grad ist, wie beinahe jeden Tag.
    »Es ist Donnerstag, der zweiundzwanzigste März.«
    Ich bin also seit beinahe acht Wochen im Krankenhaus. Auf eine Weise klingt das wie eine Ewigkeit, aber die Tage sind irgendwie ineinandergeflossen, einer ging nahtlos in den anderen über. Schmerzen, Medikamente, Therapie, Operation. Ein konstanter Kreislauf der Heilung. Meine Mutter schaut zur Uhr an der Wand, ihre Finger halten nicht inne, das Klappern der Nadeln ist ein tröstendes Geräusch, an das ich mich aus meiner Kindheit erinnere. »Ich habe vorhin deinen Vater angerufen. Er sagt, es geht allen gut. P. J. freut sich darauf, seinem Großvater mit den kalbenden Kühen zu helfen.«
    Wenn meine Mutter sich früher zum Stricken hingesetzt hat, war das ihre stille Ruhezeit. Ich habe nie einen Menschen so hart arbeiten sehen wie meine Mutter. Morgens stand sie vor allen anderen auf, unser Wecker war der Geruch nach Kaffee, Bacon und Eiern. Nach dem Frühstück spülte sie das Geschirr und ging dann mit nach draußen, um meinem Vater mit den Kühen zu helfen, sie zu füttern, ihnen Wasser zu bringen, die Zäune nach losen Drähten oder hervorstehenden Nägeln abzusuchen, an denen die Rinder sich verletzen könnten. Dann kehrte sie ins Haus zurück, machte die Wäsche, kochte Mittagessen, fuhr zum Supermarkt, kümmerte sich um die Nöte ihrer fünf fordernden Kinder und ihres nicht minder fordernden Ehemannes, bereitete das Abendessen zu, spülte das Geschirr, half mit den Hausaufgaben, und endlich, völlig erschöpft, konnte sie sich für ein paar Minuten hinsetzen und stricken. Sicher, wir halfen unserer Mutter, aber es gab so viel zu tun und niemals genügend Zeit. Obwohl meine Mutter sich nie beschwerte, sah ich, wie abgespannt sie war, und schwor mir, dass mein Leben nicht so werden würde. Ich wusste, dass ich Broken Branch verlassen würde, sobald ich alt genug war.
    »Ein Uhr in Iowa«, sage ich. »Ich frage mich, was die Kinder in diesem Augenblick gerade tun.«

MRS OLIVER
    Mrs Oliver schaute den Mann genauer an. Es war nicht leicht, sich ein klares Bild von ihm zu verschaffen. Er hatte die graue Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. Dunkle, lockige Haare schauten hinter seinen Ohren hervor. Er trug eine schwarze Jacke, deren Reißverschluss er bis zum Kinn hochgezogen hatte, und Glattlederhandschuhe. Die Falten um seine Augen ließen sie vermuten, dass er schon über vierzig war. Er schien übermäßig besorgt

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