Bis zum letzten Atemzug
ihre Körper schwankten im Rhythmus der Worte, die die Frau sprach. Amen, Schwester, hätte ich beinahe laut gesagt, halte mich aber gerade noch zurück.
An unserem ersten Sonntag in Broken Branch hat Grandpa mich und R J. gezwungen, mit ihm in die Kirche zu gehen. Ich lag im Bett, vergraben unter der dicken Decke in dem Zimmer, das einst meiner Mutter gehört hatte. Er klopfte an die Zimmertür, und ich hörte, wie sie quietschend geöffnet wurde. Ich spürte, dass er im Türrahmen stand. Ich versuchte, so tief und regelmäßig zu atmen, als würde ich schlafen.
»Augie«, flüsterte er, seine Stimme leise und tief wie die der Kühe, die er in seiner großen Scheune hielt. »Augie, es ist Zeit, aufzustehen. Wir fahren in dreißig Minuten zur Kirche.« Ich hielt vollkommen still, hoffte, dass er aufgeben und ohne mich gehen würde. Aber keine Chance. »Augie.« Dieses Mal dröhnte seine Stimme durch das Zimmer. »Wir fahren in einer halben Stunde los.«
Ich blinzelte unter der Decke hervor; in der kalten Luft wurde meine Nasenspitze sofort taub. »Ich fühle mich nicht gut«, murmelte ich und vergrub mein Gesicht in dem weichen Kissen, das so schlimm Federn verlor, dass ich am ersten Morgen im Farmhaus erwachte und beim Blick in den Spiegel dachte, die weißen Daunen wären Schneeflocken.
»Du hast fünfundzwanzig Minuten«, sagte er ungeduldig. Dann drehte er sich um und schloss die Tür hinter sich.
Zu dem Zeitpunkt kannte ich meinen Großvater noch nicht gut genug, um zu wissen, wie weit ich bei ihm gehen konnte, also kletterte ich aus dem Bett und zog die Jeans und das langärmelige T-Shirt vom Vortag an. Ich dachte wirklich, wenn er mich in diesem Outfit sähe, würde er mich sofort wieder zum Umziehen nach oben schicken, aber er trug selber Jeans. »Zieh besser einen Wintermantel über«, sagte er und hielt mir einen roten Mantel hin, der leicht muffig roch und einst meiner Mutter gehört haben musste. Ich hatte die Hand schon ausgestreckt, um ihn zu nehmen, doch dann zog ich sie schnell wieder zurück.
»Mir ist nicht kalt«, behauptete ich und ging einfach an ihm vorbei und setzte mich neben P. J. in den Truck. Mein Bruder trug einen Mantel, der genauso muffig roch und ihm ungefähr vier Nummern zu groß war.
»Ich weiß«, sagte er, als er meinen Blick bemerkte. »Der gehörte Onkel Todd. Aber wenigstens ist mir nicht kalt. Du wirst dich zu Tode frieren.«
»Dafür sehe ich nicht aus wie der letzte Dorftrottel.« Ich zog die Ärmel meines T-Shirts über die Hände und versuchte, sie so zu wärmen. Grandpa kletterte auf den Fahrersitz, wodurch der Truck sich zur linken Seite neigte. Schweigend fuhren wir zur Kirche, die kleiner war, als ich erwartet hatte, aber auch hübscher. Ich dachte, Grandpa würde mit uns direkt nach vorne durchmarschieren, doch das tat er nicht. Er führte uns zu einer Reihe auf der rechten Seite in der Mitte der Kirche. Ich setzte mich auf die harte Bank, während Grandpa sich auf das untere Brett kniete. Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, um zu sehen, ob er sich hier wie so eine Art Oberheiliger aufspielen würde, doch auch das tat er nicht. Er sang jedoch mit, laut und klar. Und seine Stimme klang besser als die von dem Chorleiter meiner Schule in Revelation.
Mom ist nie mit mir und P. J. in die Kirche gegangen. Ich habe sie nie gefragt, warum nicht, mich aber manchmal schon darüber gewundert. P. J. hingegen hat sie danach gefragt. Das war eine Woche vor dem Feuer. Wir saßen an dem kleinen Tisch in der Essecke der Küche und aßen alle Hühnchen mit Reis, das ich uns zum Abendessen gemacht hatte.
»Warum gehen wir nie in die Kirche?«, fragte er und schaufelte sich ein riesiges Stück Huhn in den Mund.
Wenn man unsere Mom nicht kennt, würde man denken, dass sie uns vollkommen ignorierte. Wie sie sich Zeit nahm, um ein Stück Baguette zu essen, einen Schluck Wasser zu trinken, sich den Mund mit der Serviette abzuwischen, aufzustehen und ihren Teller zur Spüle zu tragen. Aber das war ihre Art, sorgfältig darüber nachzudenken, was sie sagen wollte, bevor sie uns antwortete.
»Mein Vater hat mich siebzehn Jahre lang gezwungen, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, P. J., und das hat mir nicht gutgetan.« Sie ließ ihr Besteck ins Spülbecken fallen und drehte sich zu uns um. »Ich finde, ein Mensch muss nicht in einer Kirche sein, um sich Gott nahe zu fühlen. Die Wüste funktioniert genauso gut.« Ich saß am Tisch und dachte nur: Pst, sag nicht so etwas.
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