Bis zum letzten Atemzug
doch dann hatte er den Fehler begangen, P. J. anzusehen, und sie waren beide in heftiges Kichern ausgebrochen.
»Mir gefällt es«, hatte Augie eine Spur zu bestimmt gesagt.
»Mom wird dich umbringen.« P. J. hatte versucht, ein ernstes Gesicht zu machen. »Mom sagt, sich die Haare zu färben ist genauso wie Alkohol trinken. Wenn man einmal damit anfängt, ist es schwer, wieder aufzuhören.«
»Eure Mom wird ein paar Drinks brauchen, wenn sie dich so das erste Mal sieht, Augie«, hatte Will lachend gesagt und seine Worte dann sofort bereut, als er den Schmerz in Augies Augen aufblitzen sah. Mit hocherhobenem Kinn war sie aus dem Zimmer stolziert.
Als die Tür zu Lonnie’s Café schließlich ins Schloss fiel und in dem Luftzug ein paar Servietten geräuschlos zu Boden segelten, war es klar, dass weder Augie noch Vernas Enkelin Beth unter den Schülern waren. Will ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen.
MRS OLIVER
Aller Augen waren auf die Türen des Schranks gerichtet, in den der Mann Lucy gesteckt hatte und die mit einem Stuhl gesichert waren. Es war beinahe zwei Stunden her, dass der Mann das Klassenzimmer betreten hatte, und Mrs Oliver wusste, was als Nächstes passieren würde. Wenn man über vierzig Jahre mit Kindern arbeitete, kannte man unweigerlich ihre Muster, ihre Bedürfnisse. Arme Leah. Anhand der Art, wie sie ihre Beine übereinanderschlug, erkannte Mrs Oliver, dass es langsam dringend war.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie laut. Der Mann schaute verärgert von seinem Handy auf. »Die Kinder müssten mal auf die Toilette.«
»Sie werden noch ein wenig einhalten müssen«, erwiderte er und widmete sich wieder seinem Telefon.
Ein kleines Wimmern schlüpfte über Leahs Lippen. Sie sah Mrs Oliver flehend an. »Nein, das können sie nicht. Sie halten schon ein, seitdem Sie hier reingekommen sind. Außerdem sind sie nervös. Jeder muss auf die Toilette, wenn er nervös ist.« Der Mann schaute sich im Klassenzimmer um. »Die Waschräume sind gleich auf der anderen Seite des Flures«, erklärte Mrs Oliver. »Das wird nur ein paar Minuten dauern. Wir sind ziemlich gut darin, nicht wahr, Jungs und Mädchen?« Die Schüler nickten eifrig.
»Mrs Oliver«, sagte Leah elendig. »Bitte.«
»Kommen Sie«, sagte Mrs Oliver. »Was kann es schon schaden.«
Der Mann dachte einen Augenblick nach und schaute dann Leah an, die versuchte, die Tränen und, wie es aussah, andere Körperflüssigkeiten zurückzuhalten. »Sie haben fünf Minuten«, sagte er zu Mrs Oliver. »Bringen Sie sie innerhalb von fünf Minuten auf Toilette und zurück. Eine Sekunde länger, und ich fange an zu schießen.«
Mrs Oliver nickte und stand schnell auf, was einen scharfen Schmerz durch ihr Bein bis in ihren Rücken schickte. »Kinder, stellt euch in einer Reihe auf.« Zögernd schauten die Schüler einander an, erhoben sich von ihren Stühlen und stellten sich an der Tür auf. »Jungen links, Mädchen rechts«, befahl sie. Nachdem alle richtig standen, schaute Mrs Oliver auf ihre Uhr. »Wir haben nur fünf Minuten. Also kein Herumtrödeln. Wir verzichten sogar aufs Händewaschen.« Als sie den Ausdruck von Ekel auf Ryan Lathams Gesicht sah, versicherte sie ihm, dass sie literweise Desinfektionsgel in der Klasse hätte, das sie alle danach benutzen könnten. »Seid ihr bereit? Jeweils vier Jungen und Mädchen zurzeit. Los!« Die ersten acht Kinder rannten aus dem Klassenzimmer zu den Waschräumen auf der anderen Seite des Flurs. Der Mann hatte sich in die hinterste Ecke des Raumes verzogen, von wo aus er immer noch einen klaren Blick auf Mrs Oliver und ihre Schüler hatte. Doch offensichtlich war er mehr an dem interessiert, was er auf dem Display seines Handys sah. Mrs Olivers Magen zog sich vor Angst zusammen. Da steckte viel mehr hinter, als sie ursprünglich gedacht hatte. Vielleicht hatte es gar nichts mit der Schule zu tun, mit diesem Klassenzimmer, diesen Schülern. Vielleicht hatte es gar nichts mit ihr zu tun. Wenn es sich um einen Mann handelte, der auf einen bestimmten Schüler oder sogar sie fixiert war, könnte sie sich ein friedliches Ende der ganzen Episode vorstellen. Doch diesem Mann schienen sie alle beinahe egal zu sein. Als hätte er willkürlich einen Raum ausgewählt, in dem er sich verschanzen konnte, bis die wirkliche Action losging. Aus irgendeinem Grund fand sie das viel besorgniserregender. Diesem Mann waren sie egal, sie waren entbehrlich. Er lag auf der Lauer. Sie wusste nur nicht, worauf er wartete. Mrs
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