Bis zum letzten Atemzug
ungläubig an. Wo waren ihre Enkelkinder? In seinen gesamten siebzig Jahren hatte er sich noch nie so hilflos gefühlt wie in den letzten acht Wochen. Er und Marlys hatten Dürren, Fluten und finanzielle Schicksalsschläge überstanden. Sogar ihre Probleme mit der jugendlichen Holly verblassten im Vergleich zu Hollys Unfall und jetzt dem hier.
P. J. hatte Will gebeten, heute zu Hause bleiben zu dürfen, um beim Kalben zu helfen.
»Bitte, Grandpa«, hatte er gebettelt. »Es ist der letzte Schultag vor den Frühlingsferien. Da verpasse ich bestimmt nichts.«
Sogar Augie hatte sich für ihren Bruder eingesetzt. »Du solltest uns zu Hause bleiben lassen. Wenn er dir zusieht, lernt er mehr, als wenn er den ganzen Tag in der doofen Schule herumsitzt.« Das hätte man beinahe als Kompliment auffassen können. »Ich kann dann auch hierbleiben«, hatte sie angefügt, »und schon mal für unsere Reise packen.«
»Ihr zwei geht in die Schule. Danach ist noch ausreichend Zeit, um beim Kalben zuzusehen und die Koffer zu packen.« Wenn er nur nachgegeben hätte, nur dieses eine Mal, und den Kindern erlaubt hätte, daheimzubleiben. Aber nein, er musste ja seinen Willen haben und den beiden zeigen, wer hier der Boss war.
Er schüttelte den Kopf über seine Sturheit. Dann berührte er mit den Fingern das Handy in seiner Tasche und wusste, dass es an der Zeit war, seine Frau und seine Tochter anzurufen. Er wusste nur nicht, wie er ihnen sagen sollte, dass die Möglichkeit bestand, dass Augie und P. J. morgen früh nicht das Flugzeug nach Arizona besteigen würden.
AUGIE
Ich frage mich, ob sie mich wohl verhaften werden, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt oder wie auch immer sie das nennen.
Ich wollte Officer Barrett vertrauen, aber ich vermute, wenn ich mit ihr mitgegangen wäre, hätte sie mich direkt zu meinem Grandpa geschleppt, der von mir enttäuscht gewesen wäre, weil ich mich nicht um P. J. gekümmert habe.
Von meinem kleinen Kampf mit Officer Barrett sind meine Klamotten klitschnass, und meine Schuhe geben ein schmatzendes Geräusch von sich, als ich die Sporthalle durchquere. Ich schleudere sie von meinen Füßen, denn ich weiß, dass ich leise sein muss, wenn ich versuche, in P. J.s Klassenzimmer zu gelangen. Plötzlich hört das Hämmern an der Tür auf. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Officer Barrett fort ist. Gut, denke ich. Vielleicht beschäftigt sie sich mit etwas anderem und vergisst mich. Ich wünschte, ich hätte ihr nicht meinen Namen gesagt. Das war dumm. Ich friere in meinen nassen Sachen, und meine Zähne hören nicht auf zu klappern. Ich sehe ein Sweatshirt auf einer der Bänke liegen und ziehe mein blutbeflecktes, feuchtes T-Shirt aus und das Sweatshirt an. Das ist nicht wirklich Klauen; ich gebe es ja zurück, wenn das alles hier vorbei ist. Aber wenn ich das nasse T-Shirt anbehalte, könnte ich mir eine Unterkühlung einfangen oder so was. Meine Hose ist auch nass, aber das Sweatshirt ist besser als nichts.
Ich setze mich auf die Tribüne – nur für einen Moment, sage ich mir. Ich muss zu Atem kommen, mir einen Plan zurechtlegen, bevor ich die Treppen hinauf zu P. J.s Klasse gehe. Ich hasse Broken Branch, ich hasse Iowa. Ich kann nicht glauben, dass ich hier jemals irgendetwas hübsch gefunden habe. Ich vermisse Arizona und Revelation. Mir würde es nichts ausmachen, nie wieder Schnee zu sehen. Ich will in der Sonne stehen und ihre Strahlen auf meinem Gesicht fühlen und mir die Fußsohlen auf dem Asphalt verbrennen. Ich schließe die Augen und stelle mir den warmen, blauen Himmel vor und die orangeroten Sonnenuntergänge und all die anderen Farben, für die ich keinen Namen habe, und die Joshua-Bäume und die Yuccapalmen mit ihren spitzen Blättern. Ich vermisse meinen Dad, obwohl ich ihn auch hasse. P. J. und ich würden nicht in diesem Schlamassel stecken, wenn er uns beide bei sich hätte wohnen lassen. Es ist nicht leicht, festzustellen, dass dein Dad ein Egoist und mit einer Frau verheiratet ist, die sich nicht viel aus seiner Tochter macht.
Ich denke an meine Mom, und meine Brust schmerzt vor Sehnsucht nach ihr. Nachdem mein Dad uns verlassen hatte, wusste ich, dass ich mich auf meine Mom verlassen konnte. Sie macht hin und wieder dumme Sachen, kann nicht gut mit Geld umgehen, und manchmal aßen wir eine Woche lang Makkaroni mit Käse und Rahm-Nudeln, weil sie ein neues T-Shirt brauchte oder P. J. das gleiche Videospiel haben sollte, das alle anderen Kinder spielen. Sie
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