Bis zum letzten Atemzug
Augen mit den Händen ab und pressen ihre Gesichter an die Scheibe, um besser sehen zu können. Ein Ruf ertönt im Inneren des Ladens. Wir sind entdeckt worden.
»Ich habe ihn gesehen«, flüstert sie und schiebt sich die schneefeuchten Haare aus den Augen. »Er ist aus den Waschräumen gekommen, da habe ich ihn gesehen.«
Die Tür vom Lonnie’s öffnet sich, und ein Paar tritt auf den Parkplatz hinaus. Der Schnee wirbelt unter ihren Füßen auf.
»Was hast du gesehen?« Ich versuche, nicht zu drängend zu klingen.
Das Paar, vermutlich Faiths Eltern, kommt auf den Streifenwagen zu. Sie klammern sich aneinander, während sie über den vereisten Untergrund schlittern.
»Er hatte eine Pistole.« Ihre braunen Augen weiten sich. »Er hat sie so gehalten.« Sie richtet den Zeigefinger auf mich und lässt den Daumen nach oben zeigen. »Dann hat er seine Telefone fallen lassen.«
Sie sind beinahe am Auto. Faith hat sie noch nicht gesehen.
»Seine Telefone?«, frage ich verwirrt. »Er hatte mehr als eins?«
Sie nickt und spreizt ihre Finger. »Er hatte ungefähr fünf.«
»Fünf Handys?«, frage ich, nur um sicherzugehen. Faith nickt. »Noch etwas, Faith? Ist dir an ihm irgendetwas Besonderes aufgefallen? Hast du ihn vorher schon einmal irgendwo gesehen?« Es fällt mir schwer, meine Stimme neutral zu halten, aber ich will das Mädchen nicht verschrecken.
Sie denkt eine Sekunde nach und nickt dann wieder.
»Du kennst ihn?« Sie schüttelt den Kopf. »Du hast ihn schon einmal gesehen, aber du weißt nicht, wer er ist?« Sie nickt. Jetzt erblickt Faith den Mann und die Frau durch das Fenster des Autos und beeilt sich, ihren Anschnallgurt zu lösen. »Denk nach, Faith«, dränge ich. »Wo hast du ihn schon mal gesehen?«
Faith drückt ihr Gesicht gegen das Fenster. »Mommy! Daddy!«, ruft sie, und dann sind die beiden auch schon bei uns.
Faith versucht, die Tür zu öffnen, doch nichts passiert. Sie rutscht unruhig hin und her und sieht mich Hilfe suchend an.
Ich öffne die Verriegelung, und Faiths Vater reißt die Tür auf, und seine Tochter springt ihm in die Arme. Die Frau schlingt ihre Arme um Faith und ihren Mann, und die drei wiegen sich vor und zurück, während ich danebenstehe und versuche, geduldig einen Moment abzupassen, an dem ich diese Wiedervereinigung noch einmal unterbrechen kann.
»Mr und Mrs Garrity«, sage ich schließlich, weil ich weiß, dass jede weitere Minute, die vergeht, das Leben eines Schülers oder eines Lehrers in dem Schulgebäude beenden kann. Die Garritys schauen mich aus tränenfeuchten Augen an. »Ich bin Officer Barrett. Ich hätte gerne Ihre Erlaubnis, ein paar Minuten mit Faith zu sprechen.«
Mr Garrity drückt Faith enger an seine Brust und verzieht seine Augen misstrauisch zu kleinen Schlitzen.
»Ich glaube nicht«, sagt seine Frau und streicht Faith übers Haar. »Danke, dass Sie sie uns gebracht haben.« Ihre Stimme bricht. »Aber wir möchten Faith jetzt einfach nur nach Hause bringen.«
»Das verstehe ich«, sage ich. »Meine Tochter ist auf der Schule in der dritten Klasse.« Sie senken mitfühlend die Lider, weil sie glauben, dass Maria immer noch im Gebäude feststeckt. Ich korrigiere dieses Missverständnis nicht. »Faith ist eine wichtige Zeugin. Alles, was sie uns sagen kann, kann den anderen Kindern helfen.«
Mr Garrity schüttelt den Kopf. »Morgen. Sie können morgen mit ihr sprechen. Sie braucht jetzt erst einmal eine Nacht voll Schlaf.« Faith hat ihren Kopf auf die Schulter ihres Vaters gebettet, ihre Augen sind ganz schwer vor Müdigkeit.
»Nur eine Minute. Versprochen«, bettle ich.
Mr und Mrs Garrity wechseln einen Blick, und eine Sekunde wage ich zu hoffen, dass sie mich mit Faith sprechen lassen.
»Es tut mir leid. Nein«, sagt Mr Garrity mit einer Endgültigkeit, gegen die Widerspruch zwecklos ist. »Morgen. Wenn sie nicht zu mitgenommen ist.«
Ich nicke, schaffe es aber nicht, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Okay. Dann also morgen.« Ich wende mich an Faith. »Schön, dich kennengelernt zu haben, Faith. Du bist ein sehr mutiges Mädchen.«
»Sie auch«, murmelt sie. Ihre Lider flattern.
»Bitte rufen Sie auf dem Polizeirevier an, falls Faith irgendetwas sagt, das uns in unseren Ermittlungen weiterhelfen könnte. Fragen Sie nach Officer Barrett, dann wird man mich sofort informieren.«
»Sie ist erst fünf«, sagt Mrs Garrity entschuldigend.
»Ich verstehe. Ich wünsche Ihnen allen eine ruhige Nacht.« Das meine ich
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