Bis zum letzten Atemzug
Knäuel zusammenrollen. Es wäre so schön, einfach die Augen zu schließen und in ein paar Stunden aufzuwachen und alles wäre vorbei. Doch P. J. ist oben, und die ganzen Vorschüler sind am Ende des Flurs. Ich stehe auf und beschließe, zu P. J.s Klassenraum zu gehen, um zu sehen, was da los ist. Falls der Mann noch da drin ist, schleiche ich mich zurück und sage den ganzen kleinen Kindern und ihren Lehrern, dass sie die Gelegenheit nutzen können, das Gebäude zu verlassen. Außer es gibt mehr als einen Mann in der Schule, aber der Gedanke ist zu schlimm, als dass ich darüber nachdenken wollte.
MEG
Ich gönne mir noch ungefähr zehn Sekunden, in denen ich Faith und ihre Eltern beobachte, bevor ich mich ins Lonnie’s begebe, um mit Eric Braun zu sprechen, dem dort stationierten Officer. Faiths Vater hält sie fest, als wollte er sie nie wieder loslassen. Ihre Mutter streichelt lächelnd über Faiths Haar, während ihr Tränen über die Wangen rollen.
Zwei Sachen, die Faith gesagt hat, nagen an mir. Erstens, dass der Schütze mindestens fünf Handys hatte. Warum um alles in der Welt solle er fünf Telefone bei sich haben? Zweitens, dass Faith gesagt hat, sie hätte den Mann vorher schon einmal gesehen, kenne ihn aber nicht. Broken Branch ist eine kleine Stadt. Zwei Kirchen, eine Schule, ein Lebensmittelladen. Hier kennt jeder so ziemlich jeden beim Namen. Der Schütze muss also jemand von außerhalb sein. Jemand, der eine Verbindung zu Broken Branch hat, aber vermutlich nicht hier wohnt.
Ich muss zurück zur Schule und mit dem Chief Rücksprache halten. Ich hatte immer noch keine Gelegenheit, mich ausführlicher mit Gail Lowell zu unterhalten, und ich habe auch noch nicht mit der Rektorin gesprochen. Ich weiß gerade nicht, wo ich anfangen soll; die wenigen Informationen, die ich habe, sind bruchstückhaft und ergeben noch keinen Sinn. Ein unbekannter Schütze mit fünf Handys und unbekanntem Motiv, ein Mädchen, das die Möglichkeit hatte, zu fliehen, aber zurück in die Schule rennt.
Ich betrete das Lonnie’s. Die warme Luft fühlt sich auf meinem Gesicht gut an. Sofort bin ich von Eltern und Familienmitgliedern der Kinder umringt, die immer noch in der Schule sind. Alle betteln um Informationen. Ich habe keine, also setze ich eine emotionslose Miene auf und wiederhole: »Ich kann Ihnen leider nichts Neues sagen« und »Bisher sind uns keine Verletzungen gemeldet worden.« Meine Freunde und Nachbarn sind wenig beeindruckt und wenden sich von mir ab, die Lippen frustriert zu Strichen zusammengepresst. Sie lassen sich wieder auf die Sitzbänke in den Nischen fallen und fahren fort, auf den an die Wand montierten Fernseher zu starren in der Hoffnung, mehr Informationen von den Nachrichtensprechern und herbeigerufenen Experten zu erhalten, die noch weniger wissen als wir.
Ich sehe Braun in einer Ecke mit Dennis und Alise Strickland sprechen. Sie haben drei Kinder auf der Schule. Einen sechzehnjährigen Jungen in der zehnten Klasse und Zwillingstöchter, die in die siebte Klasse gehen. Eric sieht erleichtert aus, als ich mich nähere. Dennis und Alise erheben sich von ihren Stühlen, auf ihren Gesichtern den gleichen niedergeschlagenen Ausdruck wie bei allen hier im Raum.
»Können Sie uns irgendetwas sagen?«, fragt Alise. »Bitte?«
»Wir arbeiten alle sehr hart dran, jede einzelne Person sicher aus der Schule zu holen.« Ihre Miene verrät mir, dass das nicht die Worte sind, die zu hören sie gehofft hat.
»Ich verstehe nicht, warum niemand in die Schule geht. Warum stehen alle nur draußen herum und warten?« Dennis Strickland sieht mich fragend an. Er leitet den örtlichen Futterhandel. Normalerweise lächelt er immer und ist ein sehr entspannter Mensch, was ihm im täglichen Umgang mit den Farmern zugutekommt, aber, heute ist er verständlicherweise angespannt und nicht zu freundlichen Allgemeinplätzen aufgelegt.
»Ich weiß, es ist schwer, Geduld zu haben«, sage ich und greife nach Alises Hand. »Aber es gibt bestimmte Regeln und Vorgaben für solche Situationen, denen wir folgen müssen.« Dennis schüttelt den Kopf und geht mit steifen Schritten davon. Alise schaut mich entschuldigend an.
»Lassen Sie uns wissen, wenn es etwas Neues gibt?«, bittet sie.
»Natürlich«, versichere ich ihr. Dann geht sie auch. Ich setze mich zu Eric in die Nische und erkenne an der Art, wie er sich die Stirn reibt, dass er als Ansprechpartner für die Eltern die vermutlich schwierigste Aufgabe zugeteilt
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