Bis zum letzten Atemzug
lieber auf die gemeinsame Zeit mit mir verzichten, wenn er es dadurch vermeiden könnte, Zeit mit einem supernetten Kind wie P. J. zu verbringen. Das Traurigste daran ist, P. J. ist wie ein kleiner streunender Welpe, der sich einfach nach Aufmerksamkeit von irgendeiner Vaterfigur sehnt. Mehr als alles andere auf der Welt wünscht P. J. sich einen Dad. Nein, mein Dad ist kein Psychopath mit einer Waffe, aber trotzdem ist er ein Idiot.
Ich erreiche die Tür, die in den Flur hinausführt, und merke zum ersten Mal, wie durstig ich bin. Ich beuge mich über die Trinkwasserfontäne und trinke. Das Wasser ist lauwarm und schmeckt ein wenig rostig, aber es fühlt sich gut an in meinem Hals.
Ich trete auf den Flur und schleiche in Richtung Treppe. Wenn ich sie hinaufgehe, befinde ich mich in P. J.s Flur. Wenn ich nach rechts gehe und dann nach links, lande ich im Hauptflügel des Gebäudes, wo die Vorschüler und Erst- und Zweitklässler ihre Klassenräume haben. Ich denke an Faith Garrity und wie verängstigt sie war und stelle mir vor, dass es den ganzen anderen Kindern genauso geht. Faith jedoch dürfte inzwischen bei ihren Eltern sein, während der Rest der Kinder in ihren Klassen festhängt und nicht weiß, was hier draußen los ist.
Ich kann nicht sicher sein, dass der Mann sich noch in P. J.s Klasse befindet. Wenn es wirklich Beths Dad ist, hat er sich vielleicht schon Natalie geschnappt und ist jetzt auf der Suche nach Beth. Er könnte in diesem Augenblick durch die Flure streifen.
Ich ziehe mich in die Ecke unter der Treppe zurück, setze mich hin und versuche, zu entscheiden, was ich als Nächstes tun soll.
Mein Magen macht ein schwappendes Geräusch. Bis auf den Liter Wasser, den ich eben getrunken habe, ist er leer. Seitdem wir hierhergezogen sind, habe ich ungefähr sieben Kilo verloren, und wenn ich mich im Spiegel anschaue, erkenne ich mich kaum wieder. Meine Augen sind zu groß für mein Gesicht, und die Kuhle an meinem Hals sieht aus wie mit einem Eisportionierer ausgehöhlt. Ich kann nicht sagen, dass ich sehr gut aussehe, auch wenn einige der Mädchen an meiner alten Schule, die sich nur darüber unterhalten, wie fett ihre Gesichter oder Oberschenkel oder Hintern aussehen, von meiner Verwandlung sicher beeindruckt wären. Es ist jedoch keine Diät, die ich weiterempfehlen würde: die »Schau zu, wie deine Mutter sich die Haut verbrennt«-Diät.
Seit dem Feuer wird mir beim Geruch von bratendem Fleisch übel. Wenn mein Grandpa Bacon brät oder Hamburger macht, muss ich immer an das Zischen der verbrennenden Haut meiner Mutter denken. Ich habe mich nach dem Brand vierundzwanzig Stunden lang immer wieder übergeben, um den aschigen Geschmack aus dem Mund zu kriegen und den grässlichen süßen Geruch von verbrannter Haut und Haaren aus der Nase.
Als Grandpa mit mir und P. J. zum Flughafen gefahren ist, von wo aus wir nach Iowa fliegen sollten, wollte er unterwegs an einem Fast-Food-Restaurant anhalten. Er meinte, er und Grandma Thwaite würden selten auswärts essen – vielleicht alle paar Wochen einmal in dem einzigen Restaurant in Broken Branch. Außerdem fand Grandma den Nährwert der Speisen in solchen Etablissements unzureichend. Aber wenn die Katze aus dem Haus ist … , hatte er gesagt. Als er in den Drive-Through eines Buster Burgers einbog, zog sich mein Magen allein bei dem Gedanken an den Geruch von Fett und gebratenem Burger zusammen. Aus einem Schutzreflex heraus erzählte ich ihm, dass ich Vegetarierin sei und keinerlei tierische Produkte essen würde. P. J. schaute mich an, als wenn mir Antennen gewachsen wären oder so. Grandpa lachte, und ich glaube, das war der Augenblick, in dem ich beschloss, ihn zu hassen. Ich mochte ihn sowieso schon nicht wegen all der Dinge, die meine Mutter mir über ihre Kindheit und Jugend mit ihm erzählt hatte, wie zum Beispiel, dass er sehr streng und sarkastisch war. Aber in dem Moment beschloss ich, ihn zu hassen. Sein Lachen war wie das meiner Mutter. Süß und zäh wie ein Karamellbonbon. Aber aus seinem Mund kommend klang es nicht richtig und verschaffte ihm bei mir keine Bonuspunkte. »Na, eine Vegetarierin auf einer Rinderfarm. Das wird interessant.«
Ich blieb im Auto sitzen, während Grandpa und P. J. zum Essen ins Restaurant gingen. Über der Frage, was ich in den nächsten wer weiß wie vielen Wochen, bis ich wieder zu meiner Mom konnte, essen sollte, schlief ich ein.
Im Moment würde ich mich gerne wie Roxie, Grandpas Hund, zu einem
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