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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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besten Kumpel. Und das verwirrt mich total. Ich habe mein Leben in meiner Heimatstadt aufgegeben, habe meine Freunde zurückgelassen und darauf verzichtet, in der Nähe meiner Mutter zu sein, alles für P. J. Und er ließ mich für einen alten Mann und dessen Farm fallen. Wenn Mom über ihren Dad sprach, schlich sich immer eine leichte Schärfe in ihren Ton. »Sei dankbar, dass du mich als Eltern hast«, sagte sie immer. »Ich musste während meiner Kindheit und Jugend auf der Farm immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten.« Sie erzählte uns, dass sie nie an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen oder die Nachmittage bei ihren Freundinnen verbringen konnte, weil Grandpa ihr immer so viel Arbeit aufgehalst hat. »Und der Geruch«, sagte sie immer und rümpfte die Nase.
    Noch bevor wir unsere Großeltern trafen, hatten P. J. und ich eine längere Unterhaltung darüber, was wir glaubten, wie Grandma und Grandpa Thwaite wohl sein würden. Wir beschlossen zusammen, dass wir sie nicht mögen würden. Aber innerhalb einer Stunde hatte P. J. zwei neue beste Freunde. Das hätte mich nicht überraschen sollen. P. J. mag jeden. Da ist er wie ein Welpe, der die Leute beinahe anfleht, ihn zu lieben. Aber wenigstens ich bin meiner Mutter gegenüber loyal geblieben. Mich von ihr zu verabschieden war das Schlimmste. Man würde meinen, es würde einem leichtfallen, jemanden in der Obhut seiner Mutter zurückzulassen, aber das tat es nicht. Grandma Thwaite ist für mich eine Fremde. Und für meine Mom eigentlich auch. Sie haben einander seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen und nur wenige Male pro Jahr miteinander gesprochen. Also war ich sehr überrascht, Tränen in den Augen meiner Mutter zu sehen, als Grandma das Krankenzimmer betrat. »Mom«, sagte sie, als wäre das Wort ein Bonbon auf ihrer Zunge. Ich schiebe das immer noch auf die Medikamente. Ich wollte sagen: »Machst du Witze? Das ist die Lady, von der du immer behauptet hast, sie hätte sich nie gegen deinen Vater aufgelehnt, hätte ihn alle Entscheidungen treffen lassen, ist durch ihn zu einem Schatten ihrer selbst geworden.« Lustigerweise sieht Grandma Thwaite nicht ansatzweise wie ein Schatten aus. Sie ist groß und rund und hat rosige Wangen und ein lautes, fröhliches Lachen.
    Doch obwohl mein Bruder und meine Mutter beschlossen, so zu tun, als sei alles eitel Sonnenschein, entschied ich mich, da weiterzumachen, wo meine Mom aufgehört hatte. Auf gar keinen Fall würde ich zulassen, dass dieser Mann über mich hinwegwalzte. Und trotzdem, wenn er mich morgens vor der Schule bittet, auf meinen Bruder aufzupassen, dann tue ich das, sosehr ich dem alten Mann auch sagen will, er solle sich seine Ratschläge sonst wo hinstecken. Ich kümmere mich um P. J. Nicht, weil Grandpa es sagt, sondern weil ich das schon immer getan habe.

MRS OLIVER
    Mrs Oliver tastete verdeckt in der Tasche nach ihrem Telefon. Sie wusste, wie man Textnachrichten verschickte, aber ihre Finger kamen ihr auf den winzigen Tasten immer so groß und ungeschickt vor, dass sie es selten versuchte. Sie überlegte, einfach auf ein paar Tasten zu tippen und dann Senden zu drücken, aber wer wusste schon, an wen der Anruf dann rausginge. Außerdem musste das Problem des tatsächlichen Sprechens wohlüberlegt werden. Sie wusste nicht, wie sie vor dem Mann eine Unterhaltung geheim halten sollte. Ob es ihr wohl gelänge, ihn noch einmal abzulenken? Sie schaute zu P. J., der ihren Blick erwiderte und dabei die Augenbrauen hob, als wolle er sagen: »Nun rufen Sie doch endlich an.« Als Antwort hob Mrs Oliver ihre Augenbrauen ebenfalls. P. J. kratzte sich am Kopf und fing dann an, seinen Hals zu recken, erst zur einen Seite, dann zu anderen, wie ein Schlangenbeschwörer. Er fuhr damit fort, bis der Mann ihn genervt anschaute.
    »Was zum Teufel machst du da?«, fragte er.
    »Ich wollte nur sehen, welche Augenfarbe Sie haben«, erwiderte P. J. unschuldig.
    »Bereitest du dich darauf vor, mich bei einer Gegenüberstellung zu identifizieren?« Der Mann schnaubte.
    »Nein. Ich …« P. J. warf seiner Lehrerin einen verwirrten Blick zu.
    »Du musst dir keine Gedanken wegen einer Gegenüberstellung machen«, sagte der Mann, und Mrs Oliver spürte, wie die Tabletten, die sie eben genommen hatte, ihr wieder in die Kehle stiegen. »Blau«, sagte der Mann. »Meine Augen sind blau.« Damit griff er nach seinem Rucksack und holte eine Flasche Wasser heraus.
    »P. J., lass das«, sagte Mrs Oliver.
    P. J. ignorierte

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