Bis zum letzten Atemzug
Jahren seine Familie ernährte. Zwei Dürreperioden gefolgt von einem Sommer mit Rekordregenfällen hatten die Craggs schwer in Schulden gestürzt. Theodore Cragg, der immer noch bei seinem Sohn lebte, scheute sich nicht, seinem Unmut über die schlechte Bewirtschaftung der Farm durch seinen Sohn lautstark Ausdruck zu verleihen. Schon öfter hatte Will im Lonnie’s oder während seiner morgendlichen Plauderstunden mit den anderen Farmern beobachtet, wie Theodore seinen Sohn vor den anderen deswegen anging. Will wünschte sich jetzt, er wäre mal dazwischengegangen, hätte dem alten Mann gesagt, er solle den Mund halten. Viele Farmen hatten schwierige Zeiten hinter sich, aber irgendwie zogen sie sich immer wieder selber aus den Tiefen des Bankrotts. Damals, im Jahr 1988, saßen Will und Marlys eines Nachmittags auf ihrer Veranda und sahen hilflos zu, wie die reifen, goldgelben Maisstängel in der unerbittlichen Augustsonne knochenweiß ausblichen. Als Farmer war man immer nur einen Schritt vom Ruin entfernt, aber er und Marlys hatten überlebt, genau wie das Land. Die nächste Ernte, die folgte, war so ertragreich wie nie zuvor.
Will parkte seinen Truck vor dem Haus. Er war erschrocken, wie verlassen die Farm wirkte. Die Craggs hatten zwei junge Töchter. Es sollte irgendwo Anzeichen ihrer Anwesenheit geben. Osterdekorationen in den Fenstern, Schlitten, Spielzeug, irgendetwas, das darauf hindeutete, dass die Mädchen hier gewesen waren. Verna hatte erwähnt, dass Darlene und die Kinder ausgezogen waren, aber Will hatte angenommen, das gälte nur für ein paar Tage, bis die Gemüter sich beruhigt hatten. Will wusste, dass der alte Cragg ein gemeiner Fiesling war, aber Ray war ihm immer freundlicher und humorvoller vorgekommen. Was er nach dem, was Verna erzählt hatte, aber nicht war. Sie hatte Ray Cragg als gewalttätigen, eifersüchtigen Mann beschrieben. Da sieht man mal wieder, dachte Will, dass man nie wirklich wissen kann, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht.
Will war schon ein paarmal zu Gast im Haus der Craggs gewesen und ging jetzt zum Seiteneingang, wo er an die Tür klopfte, die, wie er wusste, in die Küche führte. Niemand antwortete, aber er hörte das Fiepen von Craggs Hund. Er wollte gerade aufgeben und zurück zum Café fahren, als er den gelben Labrador durch die Butzenscheibe der Tür sah. Der Hund schnüffelte manisch an etwas, das auf dem Boden lag, und fing abwechselnd an zu bellen und zu fiepen. Will drückte sein Gesicht gegen das Glas, um besser sehen zu können. Hellrote Tropfen sprenkelten den Küchenboden. Blut, dachte Will mit wachsender Besorgnis. Er eilte zu seinem Truck zurück, riss die Tür auf und kletterte hinein. Er fischte das Handy aus der Tasche seines Overalls, wählte die Neun und die Eins, bevor er zögerte. Ein Anruf bei der Polizei bedeutete, dass jemand von der Schule abgezogen würde, um hierherzukommen, womit dem sowieso schon unterbesetzten Revier noch ein Beamter fehlte.
Er wusste nicht, woher das Blut stammte. Der Hund konnte sich an der Pfote verletzt haben, der alte Mr Cragg hatte sich vielleicht beim Sandwich machen in den Finger geschnitten. Will klappte das Handy wieder zu, und ohne an die Konsequenzen zu denken, schnappte er sich sein Gewehr vom Beifahrersitz und kehrte zur Seitentür des Hauses zurück. Er drückte die Klinke hinunter, woraufhin die Tür problemlos aufschwang.
Der Hund wedelte mit dem Schwanz, während seine Pfoten durch die roten Tropfen schlitterten und auf dem Fußboden purpurfarbene Streifen hinterließen, die aussahen wie von einem Kleinkind mit Fingerfarbe gemalt.
»Geh nach draußen, Mädchen«, drängte er den Hund und schob ihn sanft zur Tür. Im Spülbecken lag ein wenig benutztes Geschirr, auf dem Küchentisch stand ein halb voller Kaffeebecher. »Ray!«, rief Will. »Theodore! Ich bin’s, Will Thwaite.« Will lauschte auf eine Reaktion, doch er hörte nur Stille. Langsam ging er durch die Küche ins Wohnzimmer, wo auf dem großen Fernseher eine Seifenoper lief. Der Ton war abgestellt. Will spürte, wie sich ihm die Haare im Nacken aufrichteten. Irgendjemand musste zu Hause sein. Er schaute ins Esszimmer und dann in das kleine Zimmer, das Ray als Büro nutzte. Ein eingestaubter Computer stand auf einem ebenso staubigen Tisch. Ein ganzer Stapel ungeöffneter Briefe, so wie es aussah Rechnungen, lag daneben. Will ging rückwärts aus dem Büro und stand dann vor der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte. Er
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