Bis zum letzten Atemzug
Socken in den Mund gestopft hätte. Der Mann tigerte vorne im Klassenzimmer auf und ab und schaute immer wieder auf sein Handy, wobei er mit jeder vergehenden Minute aufgewühlter wirkte.
Mrs Oliver wusste, dass diese Episode bald zu einem Ende kommen musste. Wenn nicht, würde jemand, vielleicht sogar einige, sterben, und sie ertrug den Gedanken nicht, dass es ein Kind sein könnte. Sie klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, bis der Mann sich genervt zu ihr umdrehte. »Was?«, fragte er ungeduldig.
Mrs Oliver versuchte, die Worte zu formen, von denen sie wusste, dass sie sie sagen musste. Aber ihr Mund arbeitete immer noch nicht richtig. Offensichtlich war ihr Kiefer gebrochen, wenn nicht gar zersplittert. Sie machte eine Schreibgeste mit der Hand, und der Mann nickte. Vorsichtig öffnete sie den Deckel des Schreibtisches und überflog schnell den unordentlichen Inhalt. Lesebücher, eine Schere, zerbrochene Wachsmalkreiden, Stifte, Schreibhefte. Sie holte einen Stift und ein Schreibheft heraus und schob dabei unauffällig die Schere ein wenig näher an die Öffnung. Der Mann beobachtete argwöhnisch, wie sie das Heft auf einer neuen Seite aufschlug. Mit höchster Konzentration hielt sie ihre Hand ruhig und schrieb in ihrer ordentlichen Handschrift ein wenig zittrig: »Ich bleibe hier. Es ist aber an der Zeit, die Kinder gehen zu lassen.«
Der Mann schaute die Worte sehr lange an, dann nickte er. Mrs Oliver atmete tief ein und zuckte schmerzerfüllt zusammen, als die kühle Luft über ihren gebrochenen Kiefer strich.
MEG
Es ist beinahe sechs Uhr abends, in weniger als einer Stunde geht die Sonne unter, und die Dunkelheit fängt schon an, hereinzubrechen. Hinter der Polizeiabsperrung trotzen zwei Übertragungswagen dem Wetter, die Abgaswolken hängen schwer in der Luft. »Schön liegen blieben«, sage ich zu Twinkie, die zur Antwort leise schnauft. Ein paar Reporter undefinierbaren Geschlechts stehen in dicken Parkas mit fellbesetzten Kapuzen vor zitternden Kameramännern und sprechen in ihre Mikrofone. Kurz richtet sich ihre Aufmerksamkeit auf mich, aber als sie sehen, dass ich nur eine niedere Beamte des Broken Branch Reviers bin, verlieren sie schnell ihr Interesse.
Die Wachen, zwei Police Officer aus dem Nachbarrevier, winken mich auf den Schulparkplatz. Ich parke so nah wie möglich an dem Wohnmobil, das zu unserer Einsatzzentrale geworden ist. Ich ziehe meinen Mantel aus und stecke ihn um Twinkie fest. Hoffentlich halten ihr Fell und meine Jacke sie schön warm.
Die eiskalte Luft und der scharfe Wind entreißen mir sofort jegliche Körperwärme, die ich gespeichert habe. Als ich endlich ohne zu klopfen in das Wohnmobil stürme, zittere ich vor Kälte. Chief McKinney, Aaron und ein Mann, den ich nicht kenne, schauen bei meinem Eintreten auf. Der Chief sieht mich mit finsterer Miene an, und ich wappne mich gegen eine Standpauke, weil ich einfach zur Cragg-Farm gefahren bin, ohne das Protokoll einzuhalten.
»Setz dich, Meg«, sagt er sanft.
Ich sehe erst den Chief an, dann Aaron, dann den unbekannten Mann. Keiner von ihnen kann mir in die Augen schauen.
AUGIE
Obwohl mein Versteck hinter der Trinkwasserfontäne unbequem ist und ich meinen Hals in einem seltsamen Winkel verrenkt halte, nicke ich irgendwie weg. Ich schlafe nicht richtig, aber ich fühle mich seltsam betäubt. Ab und zu höre ich ein lautes Geräusch aus P. J.s Klasse und schrecke hoch, wobei ich mir jedes Mal den Kopf an dem Becken der Fontäne stoße. Ich bin nicht nah genug dran, um zu verstehen, worüber im Klassenraum gesprochen wird. Ich habe jemanden schreien und weinen gehört. Ich bin mir nicht sicher, warum die Polizei die Schule noch nicht gestürmt hat, aber ich nehme an, sie wissen, was sie tun.
MEG
Ich lasse mich auf dem nächstbesten Sitz nieder. Das Wohnmobil ist höchst erfolgreich von einem Freizeitmobil in einen Kommandostand verwandelt worden. Auf der Küchenzeile stehen ein Laptop und ein Empfangsgerät für den Polizeifunk. Blaupausen des Grundrisses der Schule liegen ausgebreitet auf dem Esstisch. Chief McKinney hat mir noch nicht erzählt, was los ist, aber ich weigere mich, zu glauben, dass es etwas mit Tim zu tun hat.
»Meg, darf ich dir Terry Swain vorstellen, er ist ausgebildeter Vermittler für Geiselnahmen. Am Telefon haben wir zusätzlich Anthony Samora, der das Iowa Tac-Team leitet. Das Wetter hat verhindert, dass er persönlich hier sein kann.«
Samoras blecherne Stimme kommt über den
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