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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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meine Knie ganz weich, und zum ersten Mal an diesem Tag erkenne ich, dass ich Angst habe. Die Art von Angst, die als Knoten in der Brust beginnt und immer größer und größer wird, bis außer ihr nichts mehr existiert und kein Raum mehr zum Atmen bleibt. Die gleiche Art Angst, die ich an dem Tag des Feuers verspürt habe. Es ist eine Furcht, die aus dem Wissen erwächst, wie schnell und wie schwer man einen anderen Menschen verletzen kann.
    Ich weiß, dass ich auf gar keinen Fall in diese Klasse hineingehen kann. Es war dumm zu glauben, ich könnte R J. da ganz alleine rausholen. Der Mann mit der Waffe wird uns vermutlich sowieso nicht gehen lassen. Und was sollte ich überhaupt sagen? »Entschuldigen Sie bitte, aber es ist beinahe Abendbrotzeit, und ich muss meinen kleinen Bruder nach Hause bringen.« Er würde mich höchstwahrscheinlich nur auslachen und mir befehlen, mich zu den anderen zu setzen und den Mund zu halten. Vielleicht würde er mich sogar erschießen.
    Ich nehme an, der beste Weg, R J. und allen anderen in dem Raum zu helfen, ist, mich neben die Tür zu setzen und abzuwarten und zu lauschen. Vielleicht höre ich etwas, das der Polizei helfen kann. Ich schleiche den Gang entlang und hocke mich in die kleine Nische neben der Trinkwasserfontäne, die sich direkt neben P. J.s Klassenzimmer befindet. Ich lehne mich gegen die kühle Wand und ziehe meine Knie an. Ich versuche, mich so klein wie möglich zu machen. Hoffentlich bekommt der Mann keinen Durst, kommt raus und findet mich hier.

MRS OLIVER
    Es ist nicht der pochende, pulsierende Schmerz in ihrem Kiefer, der Mrs Oliver aufweckt, auch wenn der immer stärker wird. Es sind wie immer die Kinder und ihr Wohlergehen, die sie aus dem giftigen Nebel der Bewusstlosigkeit ziehen und sie zwingen, sich vom Boden zu erheben und auf einen leeren Platz zu schleppen. Der Mann verlor langsam, aber sicher die Kontrolle – so wie er Natalie Craggs Schwester gepackt hatte, wie er sie selber mit der Waffe geschlagen hatte. Mrs Oliver konnte die Schüler nicht mit ihm alleine lassen. Sie war sich vage der feuchten Wärme bewusst, die über ihre Wange und an ihrem Hals entlanglief. Vorsichtig berührte sie ihr Gesicht und war nicht überrascht, an ihren Fingern Blut zu sehen, als sie die Hand wieder herunternahm. »Mir geht es gut«, versicherte sie den Kindern, aber ihr Kiefer hatte sich irgendwie ausgerenkt, und aus ihrem Mund purzelte lediglich ein optimistisch klingender Buchstabenbrei. Sie schaute sich nach etwas um, an dem sie ihre Finger abwischen konnte, und entschied sich dann niedergeschlagen für ihr Jeanskleid. Durch das Auge, das nicht zugeschwollen war, sah Mrs Oliver, dass ihre Schüler und Beth Cragg sie alle ängstlich anschauten. Sie schenkte ihnen ein schiefes Lächeln und ein Daumenhoch. Der Mann sah sie mit einer Mischung aus Verärgerung und Bewunderung an. Er musste denken, sie sei keine Bedrohung mehr für ihn, denn er ließ sie auf ihrem Stuhl sitzen und drückte sich das Handy ans Ohr. Mrs Oliver konzentrierte sich völlig darauf, aufrecht sitzen zu bleiben und sich ihr abrupt unterbrochenes Telefonat mit Cal noch einmal in Erinnerung zu rufen. Er hatte bestimmt die Polizei kontaktiert und erzählt, was er mit angehört hatte. Jeden Moment würden sie durch die Tür stürmen, oder eine Kugel von einem ausgebildeten Scharfschützen würde die Fensterscheibe durchschlagen und den Mann in die Stirn treffen.
    Sie würde ins Krankenhaus gebracht werden, aber erst, nachdem alle ihre Schüler wohlbehalten bei ihren Familien angekommen waren. Cal würde sie schon erwarten. Er würde sich über ihr Krankenhausbett beugen und sie anlächeln und ihr sagen, dass sie die schönste Frau war, die er je gesehen hatte. So wie er es so viele Jahre zuvor nach der Geburt ihres ersten Kindes getan hatte. Mit einer Hand hatte Cal damals ihre geschwollenen Finger gehalten, und in der Beuge seines anderen Arms hatte Georges Baby gelegen.
    Zu ihrer Überraschung hatte Mrs Ford die kurze Werbungsphase zwischen Evelyn und Cal unterstützt. »Evelyn«, hatte sie kurz nach dem desaströsen Dinner gesagt, an dem Evelyn sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, »du weißt, dass es nicht schlimm ist, glücklich zu sein.«
    »Was meinst du damit?«, hatte Evelyn gefragt.
    »George würde wollen, dass du wieder glücklich bist.« Mrs Fords Kinn zitterte. »Er würde wollen, dass sein Kind einen guten und freundlichen Mann als Vater bekommt.«
    Evelyn drehte ihren Kopf von

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