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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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aus. »Die armen Kinder.«
    »Ja. Ich sitze hier gerade an der County Road B und warte auf den Abschleppdienst, der jemanden aus dem Graben ziehen muss.« Will massierte sich die Schläfen. Er spürte die ersten Anzeichen eines monströsen Kopfschmerzes.
    »Das tut mir leid«, sagte Marlys beruhigend.
    »Nun, ich bin zumindest in besserer Verfassung als Ray und der Typ hier im Auto.« Will versuchte, etwas Leichtigkeit in seine Stimme zu legen. Marlys hatte schon genug, worüber sie sich Sorgen machen musste. »Wie geht es Holly? Weiß sie, was hier los ist?«
    »Nein, aber ich verschweige es ihr nicht gerne«, erwiderte Marlys heftig. »Holly hat viele Fehler gemacht, aber sie ist eine gute Mutter und liebt Augie und R J. mehr als alles andere auf der Welt.«
    »Vielleicht sollten wir es ihr dann sagen«, überlegte Will.
    »Soll ich mit ihr reden?«
    Marlys schwieg einen Moment. »Lass uns noch ein wenig warten. Sie freut sich so sehr darauf, die Kinder morgen zu sehen. Die Freude will ich ihr noch nicht nehmen. Um Himmels willen, Will, wie viel kann ein einziger Mensch ertragen? Es muss einfach alles gut werden«, sagte sie entschlossen.
    »Okay, warten wir noch. Halte sie nur vom Fernseher weg. Ich will nicht, dass sie auf diesem Weg davon erfährt. Ich muss auflegen. Da kommen der Abschleppwagen und die Ambulanz. Ich rufe dich später zurück.«
    »Ich liebe dich, Will.« Marlys’ Stimme zitterte vor unterdrückten Gefühlen. Will hätte jetzt nichts lieber getan, als seine Frau in die Arme zu ziehen und ihr zu sagen, dass alles wieder gut würde.
    »Ich liebe dich auch.« Mehr brachte er nicht heraus. Er steckte das Telefon weg, wappnete sich gegen die Kälte und stieg aus dem Auto. Mit weit ausholenden Armbewegungen winkte er den nahenden Abschleppdienst und den Krankenwagen zu sich.

HOLLY
    An den meisten Tagen hasse ich meine Physiotherapeutin Gina. Ich kann bei ihr so viel weinen und stöhnen, wie ich will, sie hat kein Mitleid mit mir. Wenn ich ihr sage, dass ich müde bin, sagt sie »Pech gehabt«. Wenn ich sage, dass ich zu große Schmerzen habe, sagt sie mir, ich solle mich zusammenreißen. Als ich ihr heute sage, dass ich eine Infektion habe, meint sie: »Und was geht mich das an?«
    Ich muss lachen. »Genau das hat mein Dad immer gesagt, als ich noch zu Hause gewohnt habe.«
    »Kluger Mann.« Gina nickt anerkennend.
    Mein Dad war, nein, ist immer noch einer der klügsten Männer, die ich je getroffen habe – nicht, dass ich ihm das je gesagt hätte. Allerdings war er auch so praktisch veranlagt, dass er mich damit in den Wahnsinn getrieben hat. Nie konnte er etwas einfach so aus Spaß machen. Es musste immer ein Bulle gekauft, ein Kalb geboren, eine Ernte eingefahren, eine Maschine repariert werden. Ich erinnere mich an einmal, als ich fünfzehn war und mich mit meinem damaligen Freund in einen der Schuppen zurückgezogen hatte. Nachdem wir eine Weile herumgemacht hatten, hielten wir es für eine gute Idee, mit dem nagelneuen John-Deere-Traktor meines Vaters eine kleine Spritztour zu unternehmen. Das Ding fuhr nicht schneller als fünf Meilen die Stunde, aber mein Dad hat einen totalen Wutanfall bekommen.
    »Wir haben doch nichts kaputt gemacht«, protestierte ich, nachdem er uns erwischt und mir einen zweiwöchigen Hausarrest aufgebrummt hatte.
    »Und was geht mich das an?«, hatte er wie immer gefragt.
    »Ruh dich ein wenig aus«, sagt Gina endlich, als sie erkennt, dass sie heute während der Sitzung nicht auf meine Mitarbeit zählen kann. »Morgen strengen wir uns wieder ein wenig mehr an. Du willst doch stark sein, wenn deine Kinder kommen.«
    Bei dem Gedanken muss ich lächeln. »Ich kann es kaum erwarten«, verrate ich ihr. »Es kommt mir vor, als hätte ich sie eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.« Ich frage mich, ob mein Vater je so aufgeregt gewesen ist, mich zu treffen. Frage mich, ob er sich jetzt darauf freut, mich morgen zu sehen. Ich weiß, ich habe es ihm nicht leicht gemacht. Ich weiß, was ihn anging, war ich überempfindlich und zu kritisch. Aber wie soll ein Kind mit einer Kuh mithalten? Wenn mein Vater nur ein einziges Mal gesagt hätte, »Holly, kannst du bitte nach Hause kommen? Ich vermisse dich«, hätte ich im nächsten Flieger nach Broken Branch gesessen. Aber er hat es nie gesagt. Das unterscheidet uns voneinander. Wenn es um meine Kinder geht, weiß ich, was wichtig ist.

MRS OLIVER
    Mrs Olivers Zunge fühlte sich trocken, dick und geschwollen an. Als wenn man ihr einen

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