Bis Zum Letzten Tropfen
Schatten unterbrochen wird, die sich offenbar in die Haare gekriegt haben. Ich schließe mein Auge und lasse meine Ohren übernehmen. Davon habe ich ja momentan noch zwei.
– Nun, wie werde ich Sie bestrafen? Seltsamerweise scheinen sich unsere Gespräche immer um dasselbe Thema zu drehen. Mrs. Vandewater, es amüsiert mich zu sehen, dass jemand, der dem Gedanken der Disziplin so verhaftet ist wie Sie, persönlich so wenig davon aufbringt.
– Das liegt einzig und allein an Ihrer mangelnden Übersicht.
– Also gut. Schön. Dann seien Sie doch so nett und klären Sie mich auf. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.
Sie fängt an, auf und ab zu gehen. Ihre Schritte hallen durch den langgestreckten Raum.
– Aufklären. Dieser Aufgabe habe ich mein ganzes Leben gewidmet. Und einen nicht geringen Teil habe ich darauf verwendet, Sie aufzuklären. Sie waren so ein aufgewecktes Kind. Ein aufgewecktes Kind ohne Perspektive. Und selbst jetzt sind Sie nicht in der Lage, außerhalb Ihrer Dogmen zu denken. Der Aufrechterhaltung des Status quo. Obwohl alles darauf hindeutet, dass Sie den Boden unter den Füßen verlieren. Aufklären!
Eine Hand klatscht hart auf eine Tischplatte.
– Natürlich können Sie keinen Sinn und Zweck in meinen Handlungen erkennen. Sie halten mich für ungehorsam und undiszipliniert, weil Sie einzig und allein von Ihrem Standpunkt aus denken. Nach wie vor weigern Sie sich anzuerkennen, dass ich im Dienste eines höheren Ziels handle. Sie sehen doch nur den Boden vor Ihren Füßen, doch ich erhebe die Augen bis zu jenem Punkt, an dem sich der Pfad in der Wildnis verliert.
Stille. Nachdenkliches Schweigen, bevor wieder die Stimme des Mannes ertönt.
– Nun, das erklärt immer noch nicht, wieso Sie ihm das Auge ausgebissen haben.
Neuerliches Schweigen. Als würden sie sich hasserfüllt anstarren. Schließlich erhebt die Frau die Stimme.
– Weil ich keinen Respekt vor Ihrer Autorität habe. Weil ich nicht glaube, dass Sie für die Position geeignet sind, in der Sie sich gegenwärtig befinden. Weil ich die Hoffnung hege, dass ich mich in wenigen Monaten nicht mehr vor Ihnen rechtfertigen muss.
Ein Stuhl knarrt. Sie setzt sich.
– Wäre die Sache damit geklärt?
Schritte. Ledersohlen. Ein weiterer Stuhl knarrt.
– Ja, in der Tat.
– Nun, wenn wir nach diesem völlig unnützen und zeitraubenden Versuch, Sie über das aufzuklären, was sowieso offensichtlich ist, wieder zu drängenderen Problemen übergehen könnten? Ich habe Ihren Befehl missachtet. Um welchen Preis? Was bin ich Ihnen schuldig? Wie viel können Sie mir überhaupt noch abverlangen, während Sie ständig an Macht verlieren?
Das Rascheln von Papier.
– Sie werden von einigen Ratsmitgliedern immer noch sehr hochgeschätzt. Was mich in meinem Handlungsspielraum begrenzt, worunter leider auch gewisse disziplinarische Maßnahmen fallen, die ich gerne durchführen würde.
Ein Aktendeckel wird zugeschlagen.
– Ich stehe unter Zugzwang. Ihretwegen. Wenn ich Sie noch mit einer weiteren Frage behelligen dürfte: Als ich noch in Ihrer Obhut war, welche Strafe hätten Sie mir auferlegt, wenn ich in einer ähnlichen Situation Ihre Befehle missachtet hätte?
Stoff raschelt.
– Sie sind ein Feigling. Unfähig, sich selbst eine gerechte Bestrafung auszudenken. Ich hätte Sie getötet. Es darf nicht geduldet werden, dass...
Etwas Scharfes zerschneidet die Luft, Möbel stoßen aneinander, und dann pfeift Atem aus einem Loch, das die Natur im menschlichen Körper so nicht vorgesehen hat.
– Kein Wort mehr, Mrs. Vandewater. Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Ich werde den Gedanken für Sie beenden. Es darf in der Tat nicht geduldet werden, dass in einem Leben, wie wir es führen, die Disziplin derart vernachlässigt wird.
Die Bodendielen vibrieren, weil ein Körper darauf herumzappelt. Dicke Flüssigkeit tropft auf das Holz.
– Wie immer haben Sie fast alles richtig vorhergesehen. Tatsächlich war Ihre Annahme, dass Sie meiner Autorität bald ledig sein werden, korrekt.
Metall knirscht auf Knochen. Ich höre sägende Geräusche.
– Doch so ungern ich Sie enttäusche, den Zeitpunkt Ihrer Befreiung haben Sie falsch angesetzt.
Dann ertönt ein Geräusch, das man normalerweise nicht oft hört, das ich jedoch schon bei mehreren Gelegenheiten vernommen habe: der leise, dumpfe Aufprall eines menschlichen Kopfes, der auf den Boden fällt.
– Ich bedauere zutiefst, Sie nicht mehr fragen zu können, wie Sie Ihre Zukunft von Ihrem
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