Bis Zum Letzten Tropfen
derzeitigen Aussichtspunkt aus sehen.
Seine Schritte kommen näher. Er bleibt vor mir stehen.
Ich öffne das Auge und nehme einen dunklen, schlanken Schatten wahr, der sich über mich beugt. Er geht in die Hocke, zieht ein Taschentuch aus der Brusttasche und wischt mir damit das getrocknete Blut aus dem Auge.
– Auge auf, Pitt. Ich habe einen Auftrag für Sie.
Ich blinzle, und das Bild wird schärfer. Ein glattes Gesicht mit glänzender brauner Stirnlocke, ein erschreckend eleganter maßgeschneiderter Anzug, der über und über mit Blut bespritzt ist.
– Hey, Mr. Predo.
Ich lege den Kopf auf den Boden zurück und betrachte den kopflosen Körper, der in einer sich rasch ausbreitenden roten Lache liegt.
– Wenn ich den Job der alten Dame übernehmen soll, dann vergessen Sie’s gleich.
Er will mich nicht umbringen.
Nicht, dass ich zu dieser Überzeugung gelangt wäre, weil er es mir versichert hat. Er hat es mir zwar versichert, aber Predo könnte mir auch in die Augen sehen und behaupten, dass Whiskey gut und Zigaretten noch besser sind, und trotzdem würde ich erst nach einem Drink und einer Lucky glauben, dass er Recht hat. Der Mann ist die Mutter aller Lügen. Er verbreitet sie überall, wo und wann immer er kann. Er braucht nur auszuatmen, und Lügen schwirren durch den Raum. Wenn er irgendwo allein ist, murmelt er Lügen vor sich hin, damit er ja nicht aus Versehen die Wahrheit sagt. Tagsüber, wenn er in der sicheren Festung des Koalitionshauptquartiers in seinem Bett schläft, träumt er Lügen. Er muss ständig aufpassen, dass seine linke Hand nicht erfährt, was seine Rechte für verräterische Pläne hat.
Selbst wenn man ihn auf die Streckbank legen und mit glühenden Eisen traktieren würde, bestände keine Gefahr, dass er die Wahrheit ausplaudert. Ihm ist einfach das ganze Konzept von Wahrheit völlig fremd.
– Ich werde Sie nicht umbringen.
Während er das sagt, beobachten wir zwei seiner stämmigen Schlägertypen in schwarzen Gummischürzen, Gummigaloschen und Gummihandschuhen, wie sie die Überreste von Mrs. Vandewater eintüten und das Blut vom Boden des abgehalfterten Ballsaals wischen.
Ich leere den Blutbeutel aus Jammers Kühlschrank, den Mrs. Vandewater mitgenommen hat. Predo hat ihn mir gegeben, um das Vyrus ein bisschen auf Trab zu bringen und meine Wunden schneller heilen zu lassen.
– Was ich Ihnen leider nicht versprechen kann, Mr. Predo.
Ich werfe den leeren Beutel in den Eimer, in dem bereits Mrs. Vandewaters Kopf liegt.
Er wischt sich den letzten Rest Blut von Händen und Hals und wirft das Handtuch in den Müllsack, den einer seiner Männer für ihn aufhält.
– Natürlich nicht, Pitt. Das hätte ich auch nicht erwartet. Doch angesichts der Tatsache, dass Sie an diesem Abend von minderjährigen Kleinkriminellen überfallen wurden und Ihre Anatomie von einem alten Krüppel in Unordnung bringen ließen, werden Sie sicher Verständnis dafür haben, dass mich Ihre Drohungen nicht besonders beunruhigen.
Ich taste meine Taschen nach Zigaretten ab.
– Ja, Sie mich auch.
Er blickt auf seinen vom Blut ruinierten Anzug.
– Würden Sie mich einen Augenblick entschuldigen?
Er geht auf die Tür zu. Offensichtlich war das eine rhetorische Frage.
Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück. Das Blut des Drogendealers sickert durch meine zerfetzten Eingeweide, und mit einem kalten Brennen macht sich das Vyrus daran, es zu kolonisieren und mich wieder zusammenzuflicken.
– Lassen Sie sich ruhig Zeit.
Ich hebe die Hand.
– Hey, ich nehme nicht an, dass Sie seit unserem letzten Treffen angefangen haben zu rauchen?
Die Tür fällt ins Schloss, und ich bleibe mit den beiden schmallippigen Schlägern zurück. Ihre Gummischuhe quietschen, und ihre Putzlappen fahren klatschend über den blutigen Boden.
Nein, er wird mich nicht umbringen. Wenn er das vorgehabt hätte, hätte er mir ja wohl kaum das Blut gegeben, um mich wieder auf die Beine zu bringen. Nicht, dass mich seine Jungs nicht trotzdem in die Mangel nehmen könnten, aber jetzt habe ich so viel Blut intus, dass ich Ihnen durchaus gefährlich werden könnte. Und es sieht Predo gar nicht ähnlich, sich die Arbeit unnötig schwerzumachen. Wenn er mich wirklich umbringen wollte, hätte er das getan, solange ich noch in Stacheldraht gewickelt dalag und den Scheißboden vollgeblutet habe. Zumindest hätte er mich bis zum Tagesanbruch so liegen lassen können. Anschließend hätten sie mich dann ohne Probleme nach draußen
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