Bis Zum Letzten Tropfen
tragen und zusehen können, wie ich von der Sonne gegrillt werde.
Jetzt ist auch der letzte Rest der guten alten Mrs. Vandewater in den Müllsäcken verschwunden. Der Eimerträger und die Schlägertypen blicken sich noch mal um, ob sie nichts übersehen haben, dann ziehen sie los, um die sterblichen Überreste zu entsorgen.
Andererseits, wenn ich so drüber nachdenke, sähe es Predo ähnlich, mich mit Blut abzufüllen und meine Gesundheit und Kraft wiederherzustellen; vielleicht will er ja, dass ich wirklich alles mitkriege, wenn sich sein Putzkommando daranmacht, meine verbliebenen Körperteile auch noch abzuhacken. Allerdings würde er so vermutlich nur vorgehen, wenn er noch ein paar Fragen an mich hätte.
Die Tür geht auf, und Predo kommt wieder herein. Er trägt einen Anzug, der genauso aussieht wie der vorige. Er sitzt wie angegossen an seinem schlanken Körper und ist wirklich vollkommen identisch – bis auf das Blut der alten Frau natürlich.
Er wartet an der geöffneten Tür, bis sich sein Schlägertrupp verkrümelt hat, schließt sie hinter den Männern und marschiert zum Lichtkegel der Stehlampe. Die Lampe steht neben einem Schreibtisch und zwei Stühlen in der Mitte des Ballsaals. Er macht es sich auf der Chefseite des Schreibtischs bequem.
– Also, Pitt.
Fast unmerklich rückt er seine silberne Krawattennadel zurecht.
– Lassen Sie mich Ihnen ein paar Fragen stellen.
Ich warte auf Arme, die mich von hinten packen, auf eine Garrotte, die sich um meinen Hals legt oder den Lauf einer Waffe, der sich an meine Stirn presst.
Als nichts von alldem geschieht, lasse ich das Messer aus meinem Ärmel gleiten, das Predo benutzt hat, um die Vandewater zu töten. Ich habe es an mich genommen, nachdem mich die Schläger vom Stacheldraht befreit und durch den Raum gezerrt hatten, genau zu der Stelle, an der er es fallen gelassen hatte. Ich werfe es schnell und mit Schwung. Es verfehlt Predo um etwa einen halben Meter und bohrt sich außerhalb des Lichtkegels in die Wand.
Er hebt eine Augenbraue, dreht sich um, betrachtet die schimmernde Klinge in der Dunkelheit und wendet sich dann wieder mir zu.
– Wie es aussieht, müssen Sie sich an Ihr fehlendes räumliches Sehvermögen erst noch gewöhnen.
Ich kratze mir den Hals.
– Mr. Predo, wenn Sie einfach sitzen bleiben würden, während ich das Messer hole? Ich bin mir ziemlich sicher, dass der zweite Wurf etwas besser wird.
Nur weil er mich nicht auf der Stelle umbringen will, heißt das noch lange nicht, dass er mich nicht tot sehen will.
Er will mich tot sehen.
Mein Name wird nicht gerade seine schwarze Liste anführen, aber unter den ersten zehn Prozent dürfte ich wohl rangieren. Ja, er ist genau der Typ, der Listen führt. Das ist als Sicherheitschef der Koalition wohl unumgänglich. So eine Organisation hat eine Schwäche für Listen.
Es gibt alle möglichen Arten von Listen. Listen von Verrätern, Spionen und Gegenspionen. Listen von denen, die an der Spitze stehen, und von denen, die ganz unten sind. Listen von Leuten, die man ungestraft umbringen kann und von Leuten, bei denen man vorsichtig vorgehen muss. Listen von Insidern. Listen von Outsidern.
Wenn man zur Koalition gehören will, muss man eine Regel beherzigen. Sie lautet: Geheimhaltung. Sie lautet: Es gibt uns nicht. Sie lautet: Die normalen Menschen da draußen, die nichts vom Vyrus wissen, sollen auch nie davon erfahren. Denn wenn sie vom Vyrus erfahren, werden sie Lager und Labore eröffnen und alle möglichen Gesetze umschreiben und das Prinzip, dass alle Menschen gleich sind, noch mal überdenken.
Ehrlich gesagt, ich glaube, dass die Koalition Recht hat.
Mit dieser Regel hab ich ja auch kein Problem. Sondern damit, dass sie diejenigen nicht tolerieren, die nicht mit dieser Regel einverstanden sind. Wer gegen die Regel spielt, kommt ganz schnell auf die Liste der Outsider. Und diese Liste deckt sich so ziemlich mit der Liste der Leute, die zum Abschuss freigegeben sind.
Obwohl es eine interessante Erfahrung ist, sich in Predos Gewalt zu befinden, ohne dass jemand im Hintergrund Blei schmilzt, um es mir in die Nasenlöcher zu kippen, ist mir doch bewusst, dass ich mich in einer Situation befinde, die es ihm erlauben wird, meinen Namen früher oder später von der Liste zu streichen.
Er öffnet eine Schublade und zieht eine schmale Automatik mit poliertem Holzgriff heraus. Sie sieht aus, als wäre sie von denselben Leuten entworfen worden, die sich auch die Walnussholz-
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