Bis Zum Letzten Tropfen
immer und überall mit mir aufnehmen. Trotzdem starre ich noch einen Moment länger auf die Waffe.
Dann blicke ich ihn an.
– Ich werde sie nicht für Sie töten, Predo.
Er lächelt.
– Ich will auch nicht, dass Sie das Mädchen töten, Pitt.
Er beugt sich vor, hebt das Foto auf, betrachtet es und sieht dann zu mir.
– Ich will, dass Sie sich ihr anschließen.
Das Andrew-Freedman-Seniorenheim wurde 1924 eingeweiht. Andrew Freedman war ein Millionär mit guten Beziehungen zu korrupten Politikern, dessen Vermögen aus dem U-Bahn-Bau stammte. Wenn das noch nicht Hinweis genug auf die schmutzige Herkunft seines Reichtums ist, dann weiß ich auch nicht. Bereits ein Blick auf sein ehemaliges Wohnhaus genügt, und man weiß so ziemlich alles, was man über diesen Kerl wissen muss. Es ist ein gewaltiger, palazzoartiger Kalksteinbau an der Ecke 166th Street und Concourse. Freedman hinterließ fast sein gesamtes Vermögen einer Stiftung, die sich darum kümmerte, dass daraus ein Altenheim wurde.
Natürlich ausschließlich für Alte, die irgendwann mal reich gewesen waren und ihr Vermögen verloren hatten.
Innen war das Gebäude einst so luxuriös ausgestattet wie ein Privatclub für Eisenbahnbarone, der geradewegs aus der goldenen Ära nach dem Bürgerkrieg hätte stammen können. Hier wurden die gescheiterten Reichen so behandelt, wie sie es aus den Zeiten vor ihrer Pleite gewohnt waren.
Der gute alte Freedman, Wohltäter des kleinen Mannes.
Aber egal, es war ja sein Geld. Und jeder kann mit seinem Geld machen, was er will. Besonders wenn er tot ist. Inzwischen ist der Schuppen sowieso ein verfallenes Altenheim für ganz gewöhnliche arme Schlucker, Andys letzter Wille hin oder her.
Was wieder einmal beweist, dass die Zeit darauf scheißt, wer du bist oder was du für Pläne hast.
Dies alles erfahre ich durch einen raschen Blick auf eine Gedenktafel, während mich Predo durch den baufälligen Ballsaal im dritten Stock und mehrere Gänge führt, die kunstvoll mit bröckelndem Putz und Rattenscheiße verziert sind.
– Abschaum.
Er macht ein Handzeichen, und einer der Schläger, die uns begleiten, öffnet eine Tür.
– Das ist es, was sie einsammelt. Abschaum.
Wir gehen durch die Tür und betreten ein Treppenhaus. Unsere Schritte hallen auf den Stufen.
– Unabhängige. Leute von außerhalb der Insel. Der Schmutz, der an den Sohlen der Clans klebt. All jene, die weder den Verstand noch die Stärke besitzen, um zu erkennen, dass das Vyrus uns zu etwas Besonderem gemacht hat.
Er bleibt auf einem Absatz stehen und wartet, bis ich mit meinem nackten, verstümmelten Fuß um ein paar Glasscherben gehüpft bin.
– Und dass es kein Zurück mehr gibt.
Er nimmt die nächste Treppe in Angriff.
– Üblicherweise wird diese Art von Abfall auf natürliche Weise ausgesiebt. Wenn man das Vyrus unter dem Gesichtspunkt der Evolution betrachtet, ist es ein ausgesprochen wirksames Instrument, um eine natürliche Auslese zu garantieren. Man kann lange darüber diskutieren, ob wir noch menschlich sind oder nicht. Die Koalition bejaht dies, es ist einer ihrer Grundsätze. Nichtsdestotrotz fordert das Vyrus ein hohes Maß an körperlicher Fitness, Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit. Diejenigen ohne diese Eigenschaften werden schnell aussortiert. Unser Anliegen ist es nicht, sie auf dieses Leben vorzubereiten oder ihnen während des Umgewöhnungsprozesses zur Seite zu stehen, sondern sie so schnell und unauffällig wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen.
Er bleibt am oberen Ende der Treppe stehen und wartet, bis einer der Schläger die Tür aufgestoßen und mit der Waffe im Anschlag gesichert hat.
Ich deute auf ihn.
– Hat er Angst, dass er ein paar Tauben aufschreckt? Nicht, dass sie ihm noch auf den Anzug kacken.
Predo wartet das Nicken des Schlägers ab, dann schreitet er vor mir durch die Tür.
– Die Informationen, die wir aus der Bronx erhalten, sind bestenfalls ungenügend. Trotzdem haben wir von den Mungiki gehört.
Ich betrete das Dach. Eine sanfte Brise weht vom Fluss herauf durch die Wipfel der Bäume, die auf der Straße vor dem Gebäude stehen. Über uns funkeln trüb einige Sterne.
– Die Mungiki tummeln sich jetzt in Queens.
Ein halbes Dutzend Fernsehantennen sind auf dem Dach befestigt. Vor einer bleibt er stehen.
– Wir haben gehört, dass noch ein paar übrig geblieben sind.
– Und ich hab gehört, dass sie alle wieder verschwunden sind. Der ganze durchgeknallte Haufen.
– Haben
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