Bis zur letzten Luge
Stil der italienischen Renaissance, der vor dem Fenster im Salon stand, brach unter dem Gewicht der Geschenke beinahe zusammen. Und die neuen Debütanten der Gesellschaft hofften laut, dass ihre Hochzeit auch einmal so ergreifend werden würde.
Aurore bemerkte, wie die jungen Frauen ihren neuen Ehemann ansahen und sich möglicherweise fragten, wie die bevorstehende Hochzeitsnacht werden würde. Aber Henry hatte nur Augen für sie. Er blieb die ganze Zeit an ihrer Seite, ergriff ihren Arm, wann immer es angemessen war, berührte sie an der Taille, an der Hand. Einmal, als niemand zuzusehen schien, küsste er sie; es war ein stürmischer, besitzergreifender Kuss, der eine Saite in ihr zum Klingen brachte, bis eine dunkle Vorahnung sie erschauern ließ.
Sie wusste, was geschehen würde. Zu genau erinnerte sie sich an die gestohlenen Augenblicke in Rafes Armen, die Vertrautheiten, die Gefühle. Während der Zeremonie hatte sie an Rafe gedacht – nicht an den Mann, der ihre Welt zerstört, sondern an den Mann, der ihr Liebe geschenkt hatte, den Mann, der sie berührt, sie gewärmt und ihr die Geheimnisse und Freuden ihres und seines Körpers beigebracht hatte. Eswar das erste Mal gewesen, dass sie sich seit der Nacht des Feuers ohne Hass an ihn zurückerinnert hatte. Vielleicht hatte der Hass auch nicht gewagt, in sie zu dringen, als der Pater die vertraute Litanei gebetet hatte.
Was auch immer der Grund gewesen war, sie war aufgewühlt gewesen. Als der Pater sie unwiderruflich mit Henry verbunden hatte, hatte ein anderer Mann ihre Gedanken bestimmt. Sie glaubte nicht an Vorzeichen, doch was sollte Gutes aus Untreue entstehen? Henry bot ihr alles, was Rafe ihr genommen hatte. Und doch sah sie ihn, als sie ihn nun durch den feinen Schleier hindurch beobachtete, deutlicher und klarer als in den Monaten, in denen er um sie geworben hatte. Er bot ihr alles, was sie sich wünschte, aber sie hatte plötzlich Angst, dass er ihr nichts geben würde, was sie wirklich brauchte.
Die beunruhigenden Gedanken ließen sie den ganzen Nachmittag über nicht los. Sie versuchte sich einzureden, dass damit zu rechnen gewesen war.
Doch als Ti’Boo ihr half, sich für die Reise nach Milneburg vorzubereiten, wo sie und Henry eine Woche im Landhaus der Winslows verbringen würden, vertraute sie ihrer Freundin ihre Ängste schließlich an. Ti’Boo, die mit ihrem dritten Kind schwanger war, sagte nur das, was von ihr erwartet wurde. Aurore habe Henry vor Gott und der Kirche geheiratet. Und sie habe ihn vor der noch viel voreingenommeneren Gesellschaft von New Orleans geheiratet. Sie müsse ihm ihre Treue und ihr Vertrauen schenken und von diesem Tag an daran arbeiten, die Frau zu sein, die er verdiene. Ti’Boo sagte das ohne jede Gefühlsregung.
„Was denkst du wirklich?“, fragte Aurore und packte ihre Freundin am Arm, damit sie endlich aufhörte, im Zimmer hin und her zu eilen. „Sag mir nicht nur, was du sagen sollst, Ti’Boo!“
Ti’Boo ließ sich neben ihr auf das Bett sinken. „Warumfragst du mich das jetzt, nachdem ich monatelang gehofft hatte, dir sagen zu können, was ich denke?“
Aurore dachte über die Frage ihrer Freundin nach. Sie hatte nicht gefragt, weil sie keine Kritik an Henry hatte hören wollen. Sie hatte in ihm ihre letzte Chance gesehen, ihr Leben wieder auf den angestrebten Kurs zu bringen. Die Chance, Kinder zu bekommen, die Nicolette ersetzen konnten. Die Chance, wieder Geld in Gulf Coast investieren zu können. Die Chance, ihren Platz in der Gemeinschaft wieder einzunehmen. Die Hochzeit mit Henry hatte all das versprochen, und das hatte ihr gereicht.
Sie erhob sich und strich sich den Rock glatt. „Er kann sich meiner Treue sicher sein – bis zu dem Tag, an dem er sie nicht mehr verdient. Aber er wird niemals mein Vertrauen genießen. Nie wieder werde ich einem Mann vertrauen.“
Ti’Boo versuchte nicht, sie umzustimmen. Sie stand ebenfalls auf, nahm Aurores Umhang und legte ihn ihrer Freundin über die Schultern. Aurore und Henry würden in Henrys neuem Packard zum See fahren, und aus Norden wehte ein kühler Wind. „Ich wünsche dir Glück“, sagte Ti’Boo wehmütig. „Das Glück, das ich mit Jules habe.“
Aurore glaubte, dass diese Art warmherzigen Einvernehmens, diese Art von Partnerschaft für sie unerreichbar wäre, doch sie wollte den Moment nicht zerstören. Sie umarmte Ti’Boo, und die beiden Frauen standen lange so beieinander. Schließlich löste Aurore sich und ging los, um ihr
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