Bis zur letzten Luge
stieß einen schrillen Ton aus, der es ihr unmöglich machte zu antworten. Sie erreichten das Ende der Strecke. Sie wusste, dass Sylvain sie in seinem neuesten Spielzeug, einem perlgrauen Stanley Steamer, erwarten würde. Sie fragte sich, ob Henry mit Sylvain über sie gesprochen hatte, ehe er ihr sein unkonventionelles Angebot unterbreitet hatte.
Sie konnte spüren, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, als Henry sie weiterhin ganz ungeniert betrachtete. „Was sagt Sylvain dazu?“, fragte sie.
„Dass Sie ohne mich den Boden unter den Füßen verlieren werden. Dass ich keine bessere Partie als Sie finden kann.“
„Wir sind wie Ware, die entsprechend ihrer Qualität sortiert und bewertet wird …“
„Ich denke, ich würde die Ehe mit Ihnen genießen. Und ich denke, ich könnte sie Ihnen erträglich machen.“
Sie spürte, wie er seinen Blick über sie gleiten ließ. Es war eine körperliche, durchdringende Empfindung. Die Hitze, die ihr in die Wangen stieg, war mehr als nur Scham. Sie konnte sich vorstellen, dass seine Hände sie liebkosten. Henrys Hände, die Hände eines Mannes, die sie für immer zeichneten, veränderten – so wie Rafes Hände es getan hatten.
Im Laufe der Jahre hatte sie es sich nicht erlaubt, an die Momente der Leidenschaft zu denken, die sie in Rafes Armen erlebt hatte. Mit den Erinnerungen kam die Verbitterung über den Verrat zurück. Sie hatte gehofft, nie wieder auf diese Momentezurückblicken zu müssen. Aber im Augenblick konnte sie an nichts anderes denken.
„Sie sind eine Frau, die einen Mann in ihrem Bett braucht“, sagte Henry. „Und ich werde diesen Teil unseres Vertrages mit dem größten Vergnügen erfüllen.“
Sie wandte sich ab, doch sie konnte noch immer spüren, dass er sie ansah. Vor ihrem Fenster erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf den See. Sie fühlte seine Hand auf ihrer, spürte, wie seine Finger über die Haut oberhalb ihres Handschuhs strichen.
Sie zog die Hand nicht zurück.
23. KAPITEL
G esellschaftlich gesehen war es keine große Hochzeit, aber es waren bedeutende Gäste auf der Feier. Zuerst hatte Aurore nicht erfassen können, wie viele Kontakte Henry in der Stadt hatte. Jetzt, fünf Monate nach ihrer gemeinsamen Fahrt nach Milneburg, wusste sie, dass sie kurz davorstand, einen Mann zu heiraten, der ein beeindruckendes Netz geschaffen hatte, das eine Vielzahl an politischen und geschäftlichen Interessen miteinander verknüpfte.
Bürgermeister Behrman war anwesend, zusammen mit anderen Offiziellen der Stadtverwaltung. Männer, die sich täglich über Macht und die Verteilung der Macht stritten, standen Schulter an Schulter, als Aurore den Mittelgang der Kirche der Unbefleckten Empfängnis hinaufging. Mit hoch erhobenem Kopf schritt sie langsam auf den stattlichen goldenen Altar zu und genoss den Augenblick. Sie trug das Hochzeitskleid ihrer Mutter, das mit Vetiver und duftenden Kräutern aufbewahrt worden war.
Sie war abergläubisch genug, um sich zu wünschen, sie hätte ein neues Kleid tragen können. Zwar heiratete sie nicht aus Liebe, doch trotzdem hatte sie Hoffnungen und Wünsche für diese Ehe. Und diese Hoffnungen und Wünsche beinhalteten nicht die Erfahrungen, die ihre Mutter hatte machen müssen. Aber Henry hatte die Hochzeitsfeierlichkeiten bezahlt; sie hatte ihm nicht auch noch erlauben können, ihr ein neues Kleid zu kaufen. Stattdessen hatten sie und Cleo den züchtigen Ausschnitt etwas nach unten versetzt und unzählige Reihen von winzigen Blüten aus Satin und Perlen angenäht, die sie noch von ihrem Debütantinnenkleid gerettet hatte. Ihr Haar und ihr Gesicht wurden von einem hauchzarten Schleier aus Spitze bedeckt, der hinter ihr bis zum Boden reichte. Sie trug einen Strauß aus Gardenien, Orangenblütenund kleinen cremeweißen Röschen, die Henry an diesem Morgen zu ihr nach Hause hatte liefern lassen.
Die Mischung aus unterschiedlichen berauschenden Düften war schwindelerregend und genauso eigenwillig wie der Mann, der die Blumen hatte schicken lassen. Nun stand er vorm Altar, unter einer Kuppel, die bis in den Himmel ragte, und beobachtete jeden ihrer Schritte. Sylvain begleitete sie und gab damit der Verbindung für alle sichtbar seinen Segen. Doch Henrys Augen waren nur auf sie gerichtet.
Sein Blick blieb auch während des Empfangs in Sylvains Haus im Garden District auf sie gerichtet. Männer und Frauen, die ihr nach Luciens Tod kaum zugenickt hatten, schenkten ihr nun ein strahlendes Lächeln. Ein Tisch im
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