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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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unser Leben bestimmen? Oder geraten wir bloß von einer Tragödie in die nächste und beschwören damit das Unglück herauf, mit dem unsere Kinder leben müssen? Was ist mit unseren Kindern? Du hast recht: Ich habe ein Monster geheiratet – deinetwegen und wegen all dem, was du mir angetan hast. Und nun muss mein Sohn jeden Tag dafür bezahlen, dass ich einen solchen Vater für ihn ausgesucht habe. Wann hört das jemals auf? Wann?“
    Sie ließ die Hand sinken. Erneut schluchzte sie. Er ging auf sie zu. „Musst du das wirklich fragen? Wir bezahlen bis in alle Ewigkeit, wir beide! Ich habe dich zehn Jahre lang verachtet, und trotzdem träume ich immer noch von dir. Ich erinnere mich daran, wie du gewesen bist. Ich träume davon, dass wir miteinander fortgegangen sind. Dass ich am Morgen aufwache und du neben mir liegst. Und dass du mich anschaust und einen Menschen in mir siehst. Keinen Schwarzen und keinen Weißen.“ Er legte eine Hand auf seine Brust. „Einen Menschen.“
    „Nein!“
    „Träumst du von mir? Davon, was wir miteinander gehabt hätten? Oder hat dein Vater dir das auch genommen?“
    „Tu das nicht, Rafe!“ „Antworte mir!“
    Die Träume hatte sie tief in ihrem Innern vergraben. Sie hatte sich nicht einmal selbst eingestanden, dass sie existierten. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass diese Träume sie seit dem Feuer in jener Nacht begleitet hatten. Früher hatte sie an die Liebe und an sich selbst geglaubt. Sie hatte die Hand nach dem Glück ausgestreckt, und wenn sie schlief, wagte sie das noch immer. Doch in ihren wachen Stunden hatte sie auf kaum etwas anderes als Rache gesonnen. Sie hatte gekämpft, um alles zurückzubekommen, was sie verloren hatte – alles, bis auf diese eine Sache, die sie sich von ganzem Herzen wünschte.
    Sie konnte es ihm nicht sagen; sie wäre niemals frei, wenn sie die Worte laut aussprach. „Jetzt weiß ich alles. Gib dich damit zufrieden.“ Als sie sich umdrehen wollte, hielt er sie an der Schulter zurück.
    „Zufrieden? Meinst du, dass ich so etwas wie Zufriedenheit empfinden könnte? Es ist mir egal, ob du mich verstehst. Ich will, dass du mich anschaust und mich als den erkennst, der ich bin. Ich bin ein besserer Mensch als der, den du geheiratet hast, und auch als dein Vater. Ich hätte dich glücklich machen können.“
    „Du hast meinen Vater umgebracht!“
    „Nein! Seine Gier hat ihn umgebracht. Und er hat dich mit sich hinuntergezogen, Aurore. Es ist nichts mehr übrig von der Frau, die ich einmal geliebt habe. Nichts!“
    Tränen rannen ihr über die Wangen. „Wie ist es bloß so weit gekommen? Das Wort ‚Liebe‘ reicht nicht aus, um das zu beschreiben, was ich für dich empfunden habe. In dir habe ich all die Dinge gefunden, die ich mir nicht einmal zu wünschen gewagt hätte. Und als du mich verraten hast, sind all diese Dinge ausgelöscht worden. Wenn nichts an mir dich an die Frau erinnert, die du geliebt hast, dann ist das der Grund dafür.“
    Er berührte ihre Wange. Nicht sanft, sondern als müssteer sich vergewissern, dass ihre Tränen echt waren. Es kam ihr vor, als ob seine Finger zitterten. „Schau mich an! Was siehst du? Den Mann, den du geliebt hast? Oder den Mann, der dich verraten hat? Einen Menschen – oder einen Menschen, dessen Blut unrein ist?“
    „Macht das einen Unterschied?“
    „Allerdings!“
    „Ich sehe Rafe Cantrelle. Ich sehe einen Mann, den ich geliebt und den ich gehasst habe. Einen Mann, der so ist, wie er ist – trotz und zugleich gerade wegen seiner Abstammung. Einen Menschen.“
    „Siehst du einen Mann, der dich immer noch begehrt?“ Sie sah das Verlangen in seinen Augen aufblitzen. Ein Verlangen, das so jung wie diese Nacht war und zugleich so vertraut. Etwas in ihr warnte sie, dass ihr Blick etwas Ähnliches verraten könnte. Hastig wandte sie das Gesicht ab, um es zu verstecken. „Nein.“
    Er legte die Hand auf ihre Schulter. „Und ich sehe eine Frau, die gelernt hat zu lügen.“
    Sie konnte jeden seiner Finger durch den Stoff ihrer Bluse hindurch spüren. Sie konnte spüren, wie er sie an sich zog. „Ich gehe jetzt besser zurück. Lass mich los.“
    „Ich glaube nicht.“
    „Du wirst mich nicht zwingen.“
    „Wenn du denkst, du würdest alles durchschauen, dann sieh doch mal in dein Inneres. Verrat mir, was du dort entdeckst.“
    „Nichts! Da ist nichts mehr! Du hast nichts zurückgelassen!“
    „Ich habe dir mein Herz geschenkt.“
    Sie starrte in sein Gesicht. Sie sah ihm an,

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