Bis zur letzten Luge
wehren, sie zu lieben – egal, wie gefährlich mir das erschien.“ Sie gab einen leisen, erstickten Schrei von sich. Daraufhin rückte er näher an sie heran und schloss sie fest in seine Arme. „Du hast sie mir überlassen, als sie noch ein Baby war. Aber erst seit unserer Begegnung im Audubon-Park ist sie wirklich meine Tochter.“
„Also bist du ihr ein guter Vater?“
„Ich gebe mein Bestes.“
„Erzähl mir von ihr. Bitte.“
Er berichtete ihr von den ganz kleinen Dingen und den großen. Aufmerksam hörte sie ihm zu.
Nach viel zu kurzer Zeit beendete er seinen Bericht. „Sie singt viel lieber, als dass sie spricht, und das tut sie für gewöhnlich auch. Sie hat jeden Musiklehrer, den ich finden konnte, zur Verzweiflung gebracht, bis Clarence Valentine sie unter seine Fittiche genommen hat. Sie kennt den Text eines Songs auswendig, nachdem sie ihn ein einziges Mal gehört hat. Jeden Abend, bevor sie ins Bett muss, singt sie mir etwas vor. Wenn ich manchmal Stunden später hinauf in mein Zimmer gehe, kann ich sie immer noch summen hören.“
Sie brachte kein Wort heraus. Genau das hatte sie sich stets für ihre Tochter gewünscht, doch gleichzeitig machte dieses Bild sie traurig. All das hatte sie geopfert: glückliche Abende, die warme Umarmung des einzigen Mannes, den sie je geliebt hatte, die Tochter, die sie niemals ersetzen konnte.
„In letzter Zeit fragt sie häufiger nach ihrer Mutter“, fuhr er fort. „Beim nächsten Mal sage ich ihr, dass ihre Mutter sie sehr geliebt hat. Dass sie sie noch immer gernhat und über sie wacht.“
„Bitte tu das.“
Er strich ihr übers Haar. „Wir haben nie eine zweite Chance bekommen.“
„Das hier … heute Nacht … wird es uns beiden nur schwerer machen.“
Er drehte sich um, sodass sie sein Gesicht sehen konnte. „Ich werde New Orleans verlassen.“
„Nein …“
„Ich nehme Nicolette mit und verschwinde. Ich fange ein neues Leben an, und genau das wirst du auch tun.“
„Rafe, du kannst nicht gehen. Nicht jetzt.“
„Gerade jetzt.“
Obwohl sie erneut protestierte, war ihr klar, dass er recht hatte. Ihre Leben waren so eng miteinander verwoben, dass eine Katastrophe unausweichlich war. Sie konnte Hugh nicht verlassen, und sie konnte nicht offen mit Rafe zusammenleben. Es gab keinen sicheren Ort für sie, an dem sie Nicolette zusammen vor Hass und Vorurteilen beschützen konnten. Keinen Platz, an dem Henry sie nicht finden würde.
„Verrätst du mir, wohin du ziehst?“
„Nein. Dein Ehemann ist gefährlich. Was würde er mit dir machen, wenn er herausfände, dass du mich nicht mehr hasst?“
„Ich muss einfach wissen, wo du bist. Ich muss mir dich dort vorstellen können.“
„Lass es! Vergiss, dass es mich überhaupt gibt. Wir haben uns bereits beinahe gegenseitig zerstört. Du musst vollkommen frei von mir sein, sonst werde ich dein Leben zerstören – und du meines.“
„Warum musste es nur dazu kommen?“
„Weil keiner von uns beiden unschuldig genug war, das Schicksal herauszufordern und diesen Kampf zu gewinnen. Wir mussten uns fügen.“ Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Hast du mir all das vergeben, was ich getan habe?“
„Hast du mir vergeben?“
Sie sahen sich in die Augen und wussten in dem Moment beide, dass keiner von ihnen den Schmerz so ganz vergessen konnte, den sie sich gegenseitig zugefügt hatten. Diese Tatsache gehörte ebenso zu ihrem Erbe wie die starke Liebe, die sie an diesen Punkt und diesen Ort geführt hatte.
„Du wirst nicht mehr da sein, aber du bleibst ein Teil meines Lebens.“ Sie küsste ihn und spürte, wie ihre Lippen zitterten. „Ich werde mich ständig fragen, wo du bist. Und ich werde an Nicolette denken, bis mein Herz aufhört zu schlagen. Ich habe immer gebetet, dass ich sie irgendwann, irgendwie noch einmal treffen könnte. Wann immer ich um eine Ecke gebogen bin, habe ich gehofft, ihr dort durch einen glücklichen Zufall zu begegnen. Jetzt werde ich sie nie wiedersehen.“ Sie brach ab.
„Es würde für dich alles nur schwerer machen.“
„Nein! Ich hätte wenigstens eine Erinnerung an sie, eine echte Erinnerung. Rafe, darf ich sie sehen, bevor ihr die Stadt verlasst? Darf ich mit ihr reden? Sie singen hören? Nur ein einziges Mal?“
„Es ist zu gefährlich.“
„Wir könnten besonders vorsichtig sein. Bitte! Das ist das Einzige, worum ich dich bitte.“
„Ich weiß nicht.“
Sie wusste, dass sie sich mit dieser Antwort zufriedengeben musste. Sie
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