Bis zur letzten Luge
befreien. Er hielt sie fest, während sie dagegen ankämpfte. „Lass mich los!“, keuchte sie.
Er drückte noch fester zu, sodass sie kaum noch Luft bekam. Sie wand sich, doch je stärker sie sich wehrte, desto fester packte er sie. Schließlich gab sie nach und ließ sich hängen. Daraufhin ließ auch er locker, und sie holte gierig Luft.
„Erzähl mir von Grand Isle.“
Sie atmete tief ein, dann noch einmal. Ihr war schwindelig, alles drehte sich. „Da gibt es nichts zu erzählen. Ich bin zur Einweihungszeremonie der Kirche gereist. Ich … ich habe im Namen meiner verstorbenen Mutter eine Spende überbracht. In ihrem Gedenken. Das ist alles.“
„Du hast mir nichts davon gesagt.“
„Ich wollte dich nicht verärgern. Es war zwar mein Geld, aber ich dachte, du könntest dagegen sein.“
Er trat einen Schritt zurück und ließ die Hände sinken, als würde er sich damit zufriedengeben. Doch sie hütete sich davor, das zu glauben.
„Und wo bist du untergekommen?“
„Jemand aus dem Komitee, das für die Spendenaktion verantwortlich war, hat mir sein Gästehaus zur Verfügung gestellt.“
„Du hast dort allein gewohnt?“
Sie rieb sich den Hals. Die Haut fühlte sich wund an. „Natürlich.“
„Erzähl mir von der Feier.“
„Ich war ganz gerührt. Es hätte meine Mutter so glücklich gemacht, dass es auf der Insel jetzt eine Kirche gibt.“
„Deine Mutter war eine sabbernde Irre, die den größten Teil ihres erbärmlichen Lebens in einer Anstalt verbracht hat.“
„Es tut mir leid. Ich hätte es dir sagen sollen. Aber ich musste das einfach tun, und ich hatte befürchtet, dass du es mir schwer machen würdest.“
„Gibt es noch etwas, das du mir sagen willst?“
Sie regte sich nicht. „Was möchtest du denn wissen?“
Er schlug schnell und hart zu. Erst als sie sich auf dem Fußboden wiederfand, wurde ihr bewusst, was er getan hatte. Sie konnte gerade noch schützend die Arme über den Kopf nehmen, als er sich auch schon auf sie stürzte und weitere Schläge auf ihre Schultern und Arme herabregnen ließ. Als sie flüchten wollte, schlug er noch fester zu.
Der Angriff endete ebenso abrupt, wie er begonnen hatte. Henry erhob sich. „Steh auf.“
Als sie seiner Aufforderung nicht schnell genug nachkam, versetzte er ihr einen Tritt in die Rippen. Doch der Tritt war nur eine Vorwarnung. Sie richtete sich auf und streckte dabei die Hände aus, um weitere Schläge und Tritte abzuwehren. Er zog eine Braue hoch und schien sie fragen zu wollen, warum sie glaubte, sich verteidigen zu müssen.
„Gibt es da noch etwas, das du mir sagen willst, Rory?“ „Bist du verrückt geworden?“
„Erzähl mir von Rafe Cantrelle.“
„Er war auch da. Ich gebe es zu. Aber ich habe nicht gewusst, dass er zu der Messe kommen würde. Woher hätte ich das auch wissen sollen?“
Als er sie diesmal schlagen wollte, war sie darauf vorbereitet. Sie spannte ihren gesamten Körper an, sodass sie nicht hinfiel, sondern nur ins Taumeln geriet. „Erzähl mir, was passiert ist“, verlangte er. „Erzähl mir die ganze Geschichte. Undlass dir gesagt sein: Ich merke es, wenn du etwas auslassen solltest.“
„Es ist überhaupt nichts passiert! Wir haben nur ein paar Minuten miteinander geredet!“ Ihr war schwindelig und übel. Doch die Angst drängte beides in den Hintergrund. Sie konnte spüren, dass etwas – vermutlich Blut – an ihrem Kinn herabtropfte. „Er hat mir mitgeteilt, dass er New Orleans verlassen und Nicolette mitnehmen wird. Ich habe geantwortet, dass ich froh darüber bin, weil ich viel zu viel Lebenszeit darauf verschwendet habe, ihn zu hassen. Jetzt muss ich nie mehr über die beiden nachdenken.“ Flehentlich streckte sie die Hand aus. „Es ist vorbei, Henry. Für immer vorbei!“
Grinsend trat er näher.
Nichts war vorbei, bis die Tür schließlich hinter ihm ins Schloss fiel. Aurore lag zusammengekrümmt vor dem Ofen, in dem der Brief ihres Geliebten zu Asche verbrannt war. Sie war zu schwer verletzt und hatte zu große Schmerzen, um sich aufzurichten.
Am Ende hatte sie nichts getan, um sich zu verteidigen. Sie hatte Henrys Schläge zugelassen, weil er das Recht dazu hatte. Nicht weil er ihr Ehemann war, sondern weil sie diese Misshandlung verdient hatte. Sein Verdacht war schließlich mehr als berechtigt.
Vom Dachboden des Hauses im French Quarter aus sah Nicolette auf die Dächer herab, die an die Wogen in einer sturmgepeitschten See erinnerten. Es hatte gerade geregnet, sodass
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