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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Finger. „Ich bringe dich zu Clarence. Ich glaube nicht, dass irgendein Weißer so dumm wäre, sich so weit in den Black Belt zu wagen. Falls es zu Krawallen kommt, dann sicherlich nur in den Gegenden, vor denen die Weißen keine Angst haben.“
    „Wir könnten im Haus bleiben und alle Türen und Fenster verschließen. So hat Etta es gestern Nacht gemacht.“
    „Ich kann nicht, Nicolette.“ Er lächelte, und dennoch hatte er nie trauriger ausgesehen. „Ich muss alles unternehmen, was ich kann. Den größten Teil meines Lebens bin ich vor dem weggerannt, was ich bin. Aber ich bin ein Mann, und ein Mann rennt nicht davon. Er stellt sich und kämpft.“
    „Aber ich will nicht, dass du kämpfst!“ Sie warf sich in seine Arme.
    „Ich kämpfe für dich“, sagte er, umarmte sie fest und streichelte ihren Rücken. Die Berührung seiner Hände spendete ihr Trost. Er hatte starke, große Hände mit langen Fingern, genau wie sie. „Du bist alles, was ich habe. Wie könnte ichzu Hause bleiben, wenn ich die Gelegenheit bekomme, dein Leben etwas besser zu machen? Clarence passt auf dich auf, und vielleicht sind die Aufstände vorbei, wenn ich zurückkomme.“
    „Die Aufstände sind doch schon vorbei!“
    „Wenn du damit recht hast, dann brauchst du dir ja keine Sorgen mehr zu machen, nicht wahr?“
    Sie hielt ihn trotzdem umklammert, und als er sie später am Nachmittag bei Clarences Wohnung absetzte, hielt sie ihn noch immer fest umschlungen. In den Straßen dort herrschte eine seltsame Stille – genau wie es zu Hause gewesen war. Für gewöhnlich rannten viele Kinder zwischen den Gebäuden umher und trugen auf den verwaisten Grundstücken spielerische Schlachten aus. Jetzt waren die Straßen jedoch beinahe menschenleer.
    Nicolette ließ ihren Vater auch dann nicht los, als er sich aufrichtete. Sie löste sich erst von ihm, als Clarence sie sanft wegzog. „Dein Vater kommt bald zurück, Nickelchen. Lass ihn gehen, damit wir zusammen Musik machen können.“
    Sie zwang sich zu einem Lächeln zum Abschied, doch es wirkte verloren und hoffnungslos. Rafe gab ihr einen Kuss. Dann war er verschwunden.
    Bald darauf war Abend. Selbst ihr geliebter Clarence konnte sie nicht vergessen lassen, dass ihr Vater fehlte. Sie konnte sich nicht auf die Texte der neuen Lieder konzentrieren, die Clarence ihr beizubringen versuchte. Den kreolischen Eintopf, den er extra für sie gekocht hatte, rührte sie kaum an.
    Später am Abend vernahm sie die ersten Schüsse. Ein Auto raste direkt vor dem Fenster die Straße entlang. Sie hörte, wie Bremsen quietschten, wie ein Motor aufheulte, wie Gewehrsalven abgefeuert wurden. Instinktiv hatte sie sich auf den Boden fallen lassen und schützte mit den Händen den Kopf, als Clarence zu ihr eilte. Das Auto donnerte vorbei, und für einige Minuten war es wieder still auf der Straße. Dann wurdenTüren geknallt, und wütendes Geschrei ertönte.
    „Diese jungen Dummköpfe!“ Clarence half ihr auf und spähte danach zwischen den Gardinen hindurch nach draußen. „Was hat sie nur geritten, dass sie herkommen und auf uns schießen?“
    „Mein papa sagt, dass die Weißen nicht bis hierher vordringen, weil sie zu große Angst haben!“
    „Dein papa ist klug. Diese Dummköpfe dagegen haben nichts mehr in sich als Hass.“ Er zog sie vom Fenster weg. „Also gut, es wird Ärger geben. Sie glauben wohl, dass schwarze Leute sich nicht wehren würden, aber da irren sie sich. Die Männer in dieser Straße haben im Krieg Hunderte von Feinden getötet. Viele von ihnen sind bewaffnet und ganz wild darauf, den Lauf auf weiße Gesichter zu richten. Wir sollten uns in einem der hinteren Zimmer verkriechen und abwarten. Ich wünschte bloß, ich hätte das Apartment im Obergeschoss.“
    Sie ließ sich von ihm in das hintere Schlafzimmer führen. „Was ist, wenn papa kommt? Wer lässt ihn dann rein?“
    „Jetzt kommt er bestimmt nicht. Erst wenn es draußen sicher ist. Ich habe dir doch gesagt: Dein Vater ist klug.“
    „Und wenn er gar nicht weiß, was gerade passiert?“
    „Nickelchen, er wollte, dass ich auf dich aufpasse. Und genau das tue ich auch.“
    Sie wollte sich nicht mit Clarence streiten. In dem Zimmer, das er als das sicherste betrachtete, befand sich ein gemütliches Bett, und trotz ihrer Ängste schlief Nicolette schnell ein.
    Es war noch immer dunkel, als sie erwachte. Die ganze Nacht hindurch hatte sie Geräusche gehört: das Zischen von Kugeln in der Ferne, das Geschrei von Männern. Doch

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