Bis zur letzten Luge
Belindas Veranda hatten sich einige Kinder versammelt. Kinder, die sich mit einfachen, selbst geschneiderten Kostümen in Violett und Gold als Clowns verkleidet hatten. Zuerst hielt Phillip sie für die kleinen Mädchen, die Belinda so häufig aufsuchten. Doch schließlich gesellte sich eine ältere Frau mit müden Augen und schlecht frisiertem Haar zu ihnen.
„Ist Belinda zu Hause?“, fragte Phillip, während er die Stufen hinaufging. Er war keinem von Belindas Verwandten je begegnet. Trotzdem glaubte er, dass dies eine ihrer verheirateten Schwestern sein könnte.
„Hier lebt niemand, der so heißt.“ Die Frau betrachtete ihn misstrauisch, doch Phillip war ununterbrochen voller Misstrauen beäugt worden, seit er Nicky und Jakes Haus an diesem Morgen verlassen hatte. In der ganzen Stadt war er keinem anderen Mann begegnet, der ein Sakko trug. Wenn er sich wie der Teufel höchstpersönlich verkleidet hätte, wäre er wahrscheinlich von niemandem weiter beachtet worden.
Er hatte sich Mardi Gras ausgesucht, um Belinda zu besuchen – dieser Tag hatte ihn besonders gereizt, weil er sich noch immer nicht sicher war, was er zu ihr sagen wollte. In dem Krach und dem Getümmel bei den Feierlichkeiten glaubte er, dass seine Gefühle ihm schon den richtigen Weg zu ihr weisen würden. Schließlich arbeitete er als Journalist. Wörter waren ihm durch und durch vertraut, so als würde er in seinem Innern ein ganzes Lexikon mit sich herumtragen. Dennoch hatte er keine Ahnung, wie er ihr erklären sollte, was er empfand. Was er für sie empfand. Was er über sein Leben dachte und über den Mann, der er selbst war. Und was er über ihre Zukunft dachte – oder darüber, ob sie überhaupt eine gemeinsame Zukunft haben konnten.
Auf der obersten Stufe blieb er stehen. Die Frau war plötzlichvor ihn getreten, als wollte sie ihn abfangen.
„Belinda Beauclaire“, sagte er. „Dies ist ihr Haus.“
„Ach ja? Das hier ist mein Haus.“ Mit ihren breiten Hüften versperrte sie ihm den Weg.
Nur wenige Wochen waren vergangen, seit er Belinda zuletzt gesehen und mit ihr unter diesem Dach gelebt hatte. Für einen Moment fühlte er dasselbe Misstrauen, das noch immer im Blick der Frau stand. „Seit wann wohnen Sie hier?“
„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“
„Hören Sie, vor ein paar Wochen noch hat hier eine Freundin von mir gewohnt, Belinda Beauclaire. Ich muss sie unbedingt finden.“
„Ich wohne hier jetzt.“
Frustriert schaute er sie an. „Sind Sie gerade erst eingezogen?“
Die Frau zuckte mit den Schultern.
„Miss Beauclaire ist weggezogen“, schaltete sich eines der kleinen Mädchen ein.
Mit einer Handbewegung brachte die Frau das Kind zum Schweigen. „Sie sollten sich besser wieder auf den Weg machen“, wandte sie sich an Phillip. „Das geht uns nichts an.“
„Ich verschwinde nicht eher, bis Sie mir verraten haben, wo sie ist! Ich muss sie finden!“
Die Frau presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme.
Es war Phillip nie in den Sinn gekommen, dass Belinda nicht mehr hier sein und auf ihn warten könnte. Erst jetzt wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass er sie möglicherweise gar nicht wiederfinden würde. Natürlich konnte er die Ferien abwarten und sie in der Schule aufsuchen. Doch was war, wenn sie die Stadt verlassen hatte? Was war, wenn sie ihr Reiseziel geheim gehalten hatte? Nur wenige Leute in der Gegend kannten ihn und wussten von ihrer Beziehung. Wen konnte er überhaupt fragen?Belinda war immer für ihn da gewesen.
Und jetzt war sie es nicht mehr.
Offenbar spiegelte sein Blick seine Gefühle wider. Oder vielleicht war die Frau es auch nur leid, dass er auf ihrer Veranda stand. Ihr tiefes Seufzen klang passenderweise lebensüberdrüssig. „Sie ist unten in der Claiborne.“
„Claiborne?“
„Sie sind wohl nicht von hier, was?“
„Meine Mutter ist Nicky Valentine. Ich bin oft zu Besuch hier.“ Er schämte sich dafür, Nickys Namen so für seine Zwecke einzusetzen – allerdings nur ein kleines bisschen. Wenn irgendjemand verschlossene Türen für ihn öffnen konnte, dann war es Nicky.
„Belinda ist zu jemandem gezogen. Weiß nicht, wohin genau. Fragen Sie in der Claiborne Avenue herum, dann finden Sie sie im Handumdrehen.“ Sie zeigte nach links.
„Vielen Dank. Ich weiß das sehr zu schätzen.“
„Warten Sie hier.“ Damit verschwand die Frau im Haus und kehrte kurz darauf mit einer Handvoll grellbunter Glasperlen zurück. „Legen Sie die
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