Bis zur letzten Luge
Lucien vorbei, dass er ihren Arm packen konnte.
„Diese Männer meinen, dass der Sturm noch schlimmer wird“, zischte er.
„Werden wir dann hier noch sicher sein?“
Eine Weile dachte er über die Worte des alten Mannes und die anderen Geschichten nach, die er gehört hatte. Früher war die L’Isle Dernière ein Sommerurlaubsort gewesen – wie die Grand Isle. Während des Sturmes hatte im Tanzsaal des Hotels ein Ball stattgefunden, und das Wasser war hineingeströmt und hatte die Tanzenden mit sich fortgerissen. Schwebte er vielleicht wirklich in Gefahr? War er so überzeugt von seiner Meinung gewesen, dass er sich geweigert hatte, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen?
„Es wird keine bessere Gelegenheit mehr geben, irgendwo anders hinzugehen“, sagte sie. „Wenn wir hier nicht sicher sind, müssen wir jetzt verschwinden.“
Die Tür sprang auf, und zwei weitere Leute kamen herein. „Diese Männer kennen die Chénière, und das ist das Haus, das sie ausgewählt haben“, entgegnete Lucien. „Also kann meine Entscheidung doch nicht falsch gewesen sein, oder?“
„Ich werde die Kinder hierherholen.“
„Nein. Lass sie schlafen.“
Marcelite schüttelte seine Hand ab. „Ich will, dass sie bei mir sind.“
Wieder ging die Tür auf, und ein Mann kam mit einer jungen Frau auf den Armen herein. Die Stimmen im Zimmer erstarben, bis einer der Männer, die schon da waren, ihm die Frau abnahm. Alle scharten sich um ihn, als er sie vorsichtig auf den Boden legte.
Ihr Gesicht war totenbleich. Eine alte Frau, nass und zitternd, legte ihren Kopf auf die Brust der jungen Frau. Sie lebte noch. Sofort drehten die anderen sie auf die Seite und klopften das Wasser aus ihrer Lunge. Jemand brachte eine Decke.
Lucien trat zu dem Mann, der sie so weit getragen hatte. Sein Blick war auf die Szene gerichtet, die sich vor ihnen abspielte. „Wie ist es passiert?“
Einen Moment lang konnte der junge Mann nichts sagen.
Andere Männer stellten sich zu ihnen, und das schien ihn zu beruhigen. „Sophia ist gestürzt. Sie hatte die kleine Rosina auf dem Arm. Sie … sie sind unter Wasser geraten. Als sie auf… auftauchten, waren sie getrennt und trieben ein ganzes Stück weit voneinander entfernt in den Fluten. Ich konnte nur nach einer von beiden greifen.“
Das Haus erbebte so heftig, dass Lucien spüren konnte, wie der Boden unter seinen Füßen sich anhob. Die anderen Männer wurden sofort tätig. Einer führte den Mann, der gerade seine Geschichte erzählt hatte, zu einem Sessel, wo er den Kopf in die Hände legte und anfing zu weinen. Ein anderer hob Sophia vom Boden auf und trug sie, eingewickelt in die Decke, zu einem Teppich im Wohnzimmer, wo sich die Frauen um sie kümmern konnten. Zwei weitere begannen, einen Tisch zu zerlegen und die Bretter an den Fenstern anzubringen. Lucien sah zu, wie seine Weltsicht sich Stück für Stück auflöste.
Die beiden Männer gingen los, um auch die wenigen anderen Fenster im Haus zu verrammeln. Jeder schien eine Aufgabe zu haben, nur Lucien blieb allein zurück. Er konnte nicht nach draußen sehen, aber er konnte fühlen, wie Wind und Wasser am Haus zerrten. Er fragte sich, wie hoch das Wasser inzwischen gestiegen sein mochte.
Würde das Boot sicher sein? Vermutlich war es schon zerschellt. Und wenn es zerschellt war, gab es keine Fluchtmöglichkeit für ihn, falls dieses Haus zerstört werden würde. Er fragte sich, ob er nach draußen gehen und es sichern oder vielleicht sogar auf die Veranda ziehen sollte. Wenn das Wasser so hoch stieg, würde ein Stoß reichen, um das Boot in Bewegung zu setzen.
An der Eingangstür schlüpfte er in seinen Mantel, obwohl der, nass wie der Stoff noch war, nicht besonders angenehm zu tragen war. Er erklärte einem der anderen Männer, was er vorhatte. Der erwiderte nur, Lucien sei verrückt, im Augenblicknach draußen zu gehen.
Auf der Veranda wurde Lucien klar, dass der Mann recht hatte. Bevor er zur Brüstung gehen konnte, schleuderte der Wind ihn gegen die Hauswand. Er ging in die Knie, kroch auf allen vieren zum Geländer und klammerte sich daran fest, um einen Blick nach unten zu werfen. Das Wasser stieg noch immer. Wenn das Haus nicht so hoch gelegen wäre, wäre es bereits überflutet worden. Die Strömung war stark, und die Wellen brachen sich am Haus.
Er sah Baumstämme, die vorbeitrieben, und etwas, das aussah wie der Teil eines Daches. Ein Blitz erhellte die Hörner eines Bullen, der in den reißenden Wassermassen ertrunken war.
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