Bisduvergisst
sind meine Knie, na und, solange sie nicht einknicken, solange sie funktionieren, was sollte ich ihnen Beachtung schenken. Ich denke ja gar nicht mehr, Lisa, und das ist mein Geheimnis: Ich denke nicht. Ich gehe nur. Setze einen Fuß vor den anderen, halte dabei den verletzten Arm angewinkelt, damit die Wunde nicht so pocht.
Du bemerkst den Mann als Erste. Er tritt vor uns auf den Weg. Ich habe den Blick gesenkt, starre auf meine Stiefel, und mit meinen fast tauben Ohren habe ich ihn nicht gehört. Ich bemerke ihn erst, als ich seine Schuhspitzen sehe. Da steht er, legt ein Gewehr auf uns an.
Ich bleibe stehen, du drängst dich von hinten an mich. Stocksteif schaue ich in das dunkle Auge der Flinte. Schießt der jetzt? Wir sind keine Deserteure, wir haben die Dienstpost nach München gebracht, für den Führer, keinen Gefahren haben wir nachgegeben. Uns brauchst du nicht aufknüpfen, denke ich, uns nicht.
40
Nach einem langen und zehrenden Interview verließ ich Irma Schwands Wohnung. Mir war kalt in meinen dünnen Hosen und dem T-Shirt. Wer hätte ahnen können, dass es dermaßen abkühlen würde? Der Spätnachmittag näherte sich der 15-Grad-Grenze. Ich schob die Hände in die Taschen und lief los, um mein Auto in der Mühlenstraße aufzuspüren, wo ich es vor Stunden abgestellt hatte.
»Neuigkeiten?«
Natürlich, Cary Grant, das Herzstück des Boulevards.
»Ach, servus«, sagte ich und hoffte, er würde sich trollen.
»Wie geht es Irma?«
»Mittelprächtig.«
»Und Ihnen?«
»Was wollen Sie?«
»Sie frieren.«
»Meine Güte. Wofür interessieren Sie sich denn noch alles?«
»Die Polizei hat eine neue Spur«, verkündete Kreuzkamp gelassen.
»So?« Meine Fühler stellten sich auf.
»Nun sind Sie heiß auf alle Infos, die Sie kriegen können, nicht wahr?«
Ich ließ mich ungern durchschauen. Ging wahrscheinlich jedem so.
»Einen Kaffee? Bei mir? Wahlweise Mokka oder …«, begann er.
»Schon gut«, unterbrach ich ihn. »Schießen Sie los. Ich habe noch ein paar ungeschriebene Seiten im Nacken.«
»Setzen Sie sich immer so unter Druck?«
Wie toll er sich vorkam. Eine kleine Meldung ans Unterbewusste. Muteten wir uns nicht alle zu viel zu? Achteten wir nicht alle zu wenig auf unsere wirklichen Bedürfnisse? Ich sagte keinen Ton. Ging einfach weiter. Durch die Winzlingsgassen, an einem grauen Toilettenwagen vorbei.
»Frau Laverde?« Er blieb stehen. Clever. Aber nicht mit mir. Ich achtete gar nicht auf ihn. Er kam mir nach. 100 Punkte für mich, Mister Grant.
»Die Polizei hat Julikas letzte Stunden nachgezeichnet. Sie haben aber keine Zeugen, die klären könnten, wo diese CD herstammt. Außerdem hat sich herausgestellt, dass Herbert Neugruber, mit dem Julika angeblich zusammen war, gar nicht ihr Freund war. Er hat das nur behauptet.«
Männlicher Überschwang, Unfähigkeit, Wunsch und Wirklichkeit auseinanderzuhalten. Ich kannte das. Kreuzkamp meinte wohl, er hätte mit dem Neugruber den weltweit ersten Fall testosteronbedingter Wahnvorstellungen aufgedeckt. Ich lief über den Ländsteg und hatte das Gefühl, er vibriere unter mir.
»Zwei Typen haben gewettet, Julika zuerst ins Bett zu kriegen. Alfi Berger, Pferdeführer, und ein anderer Typ, Siegmar Hallhuber.«
»Du liebe Zeit!« Ich drehte mich zu Kreuzkamp um, der mir nachgelaufen war wie ein verirrter Hund. »Warum erzählen Sie mir das?«
»Interessiert Sie das nicht?«
Natürlich interessierte es mich. Brennend sogar. Aber da gab es noch eine Kundin, die ihr Manuskript zur Buddha-Diät in einem annehmbaren Zustand bis zum Ende der nächsten Woche haben wollte, es gab Irmas Geschichte, die mir über den Kopf wuchs, weil ich sie persönlich nahm. Da war der Ärger mit Nero und die Sorge um Juliane, die ich telefonisch nicht erreichen konnte, weil sie aus weltanschaulichen Gründen kein Handy besaß. Ich holte tief Luft: »Quod erat demonstrandum?«, fragte ich naseweis.
»Weder Alfi noch Siegmar sind bei Julika zum Zug gekommen; Siegmar ist nach dem Mord aus Landshut abgehauen. Leitner lässt nach ihm fahnden.«
Eine Gruppe Gaukler rannte laut lachend und ›Hallo‹ rufend an uns vorbei.
»Kollege«, sagte ich, »den Mord kann wer weiß wer begangen haben. Solange sich keine Zeugen finden …«
»Die Polizei hat Anrufe noch und nöcher bekommen. Von Leuten, die meinen, etwas gesehen oder gehört zu haben.«
»Aber wie immer in solchen Fällen ist nichts Verwertbares dabei«, vollendete ich für ihn den Satz.
»Sie sind
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