Bisduvergisst
sollen.«
»Was machen wir jetzt?« Mein Herz raste. Ich schlich über den Dachboden zu einer der Stellen, wo die Ziegel eingebrochen waren, und spähte hinaus. Konnte aber nur den Fluss, die Abzweigung von der Straße und die baufällige Brücke erkennen.
»Was tut sich?«, wisperte Kreuzkamp direkt hinter mir.
Ich fuhr zusammen. »Müssen Sie mich so erschrecken?«
»Wir sollten abhauen.«
»Klappe!« Ich spitzte meine Ohren. Auf die konnte ich mich verlassen. Ich besaß ein Gehör wie ein Luchs. Meinte, jemanden sprechen zu hören. Nur eine einzige Person. »Da telefoniert einer.« Wir konnten nicht weg. Wir steckten im Dachboden fest. »Sollen wir aus dem Fenster springen und in den Wald türmen?«
»Wir stellen uns tot. Tun so, als wären wir gar nicht da«, schlug Kreuzkamp vor.
»Los, schauen Sie sich um, ob wir noch irgendwas finden, was sich anzuschauen lohnt. Und dann machen wir die Fliege. Egal wie.«
Ein Motor sprang an. Kurz darauf sah ich, wie ein dunkler Wagen aus der Zufahrt auf die Landstraße abbog und verschwand.
56
»Spreche ich mit Penelope Cohen?«, fragte Nero auf Deutsch.
»Yes?«, kam die Antwort.
Er wechselte ins Englische.
»Mein Name ist Nero Keller, ich bin Polizist. Landeskriminalamt München.«
»Oh.«
Gegen das Knistern in der Leitung sprach er weiter: »Sind Sie die Schwester von Julika Cohen?«
»Natürlich. Sie ist tot. Ich weiß. Meine Mutter hat mir Bescheid gesagt.«
Das klang mehr als nüchtern. Nero hätte selbst bei zwei Schwestern, die sich verabscheuten, ein wenig mehr Gefühl erwartet. »Ihre Mutter ist mittlerweile in Landshut eingetroffen. Sie berichtete, Sie seien auf einer Südamerikareise. Ist das korrekt?«
»Ja, ich bin in Argentinien. Wenn ich es mir hätte leisten können, wäre ich nach Deutschland geflogen. Wenigstens zur Beerdigung. Aber die Flüge sind verdammt teuer.«
Nero konnte sich nicht vorstellen, dass er zur Beerdigung einer seiner Schwestern nicht kommen würde, und wenn er sich mit dem Hubschrauber aus dem Himalaja ausfliegen lassen müsste. »Julika hat in den letzten Wochen vor ihrem Tod mehrmals mit Ihnen telefoniert. Worum ging es da?«
»Sie hat angerufen, weil sie über unsere Großmutter forschte. Julika mochte Großmutter sehr gern. Viel lieber als Mom.«
Kein Wunder, dachte Nero, der Irma zwar nie kennengelernt hatte, von Elizabeth Cohen aber nicht viel hielt. »Sie und Julika – Sie waren sich nicht grün, nicht wahr?«
»Das hat Mom behauptet, oder?«, erwiderte Penelope. »Aber sie weiß kaum etwas über uns, seit wir ihr Haus verlassen haben. Julika und ich haben uns vor Jahren versöhnt.«
Nero meinte, sie leise weinen zu hören. »Worüber forschte Julika?«
»Sie hat Tagebücher gefunden. Von Großmutter. Eigentlich ging es um eine ganz alte Geschichte«, sagte Penelope. »Großmutter hatte ein Trauma aus dem Krieg. So würde ich das nennen. Sie sprach nie darüber. Julika wollte Psychologie studieren. Deswegen ging sie nach Deutschland. Weil sie … nun, sie fühlte sich nie wohl in den USA. Ich kann das verstehen. Ich habe auch nach jedem Strohhalm gegriffen, um wegzukommen. Dafür hänge ich zurzeit in Südamerika fest.«
»Sprechen Sie kein Deutsch?«, fragte Nero.
»Doch, aber nicht so gut wie Julika. Julika hat mit Mom nur deutsch gesprochen. Obwohl Mom das eigentlich nicht wollte. Zumindest als wir klein waren, fand sie es wichtig, mit uns englisch zu sprechen. Wir sollten ja in den Staaten groß werden.«
Nero beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Yoo Lim mit zwei Kaffeebechern den Raum verließ. Sofort fühlte er sich leichter.
»Als wir älter waren, tat es Mom mit einem Mal leid, dass sie das Deutsche so von sich abgekoppelt hatte«, fuhr Penelope fort. »Und mit der Sprache auch ihre deutsche Kindheit. Immerhin ist sie drüben aufgewachsen.«
»Kann es sein, dass Julika zu ihren Wurzeln zurückwollte?«
»Das war der eine Grund, warum sie nach Landshut zog. Aber der andere war der wichtigere: Sie liebte Großmutter. Eine instinktive und bedingungslose Liebe. Großmutter gab ihr das Mütterliche, Zärtliche, das Mom nie hatte.«
»Erzählen Sie mir mehr über Julikas Recherchen.« Nero dachte an die Telefoneinheiten, die durch den Zähler liefen, und an seine Meinung über die Steuerlast in Deutschland. Egal, dachte er. Das ist eine Mordermittlung.
»Großmutter muss zum Ende des Krieges hin etwas Schlimmes erlebt haben. Sie hat jemanden sterben sehen, haben wir gedacht, Julika und ich. Ich
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