Bismarck 01
bösen Vergangenheit viel zartfühlende Aufmerksamkeit schenkte und ihm ankündigte, sie möchte sich totweinen und »I care for nobody« , nurfür den süßen Heiland. Ein verschlossenes Herz sei wohl etwas recht Schlechtes? Auch habe sie trübste Ahnungen, sie werde Otto nicht wiedersehen. Auch vergehe sie mit Moritz vor Weh über Marias Abscheiden, untröstlich. – Solche Weinerlichkeit ging ihm doch zu weit, und er führte ihr zu Gemüte, daß sie nur heule, weil sie kein Unglück habe. Das müsse die Phantasie sich schaffen, weil man einen Konsum von Kummer für die seelische Gesundheit brauche, doch allzuviel ist ungesund. Wo bleibe ihre Frische, womit sie Moritz erheben solle? Beide zögen sich gegenseitig hinab in ein Tränenmeer. Moritz würde er noch an den Schultern nehmen und herzhaft schütteln. Dieser unstillbare Schmerz sei einfach Zweifel am Jenseits, an Gottes Liebe. Mit wahrem Glauben sei nur tapfere Fassung und Ergebung in Gottes Willen vereinbar. Es dünkte ihr wohl recht romantisch, to care for nobody ? Erstens sei das nicht wahr, zweitens langweilig zum Sterben, drittens Auflehnung wider Christum, der lehre: »Liebet euch untereinander«. Ein verschlossenes Herz sei gar nicht so übel, man solle es jedenfalls nicht auf der Zunge tragen für jedermann. Doch Verschlossenheit führt leicht zur Falschheit, wovon natürlich die übrigen Vorstellungen der Höflichkeitssitten auszunehmen, die keineswegs zu tadeln sind. Seinen Nächsten gegenüber verschlossen sein ist aber töricht und lieblos. – Dies alles sagte er in ziemlich pedantischen Sätzen und gab zu: »Ich habe den Kopf zu voll von Geschäften, um dir harmlos schreiben zu können. Weine nicht so viel, sei es innerlich oder äußerlich, tust du es aber doch, so laß es mich wenigstens sehen. B.« –
Er fühlte sich ganz ungesellig werden. Früher war ihm jeder Besucher recht, der sich gebildet zu unterhalten wußte. Es ging freilich manchmal zu wie in einem Taubenschlag. Hoffart muß Pein leiden, ein Deichhauptmann wird als öffentliche Persönlichkeit überlaufen. Zwanzigmal »Herein!« rufen für gleichgültige Menschen, dabei steigert sich die Temperatur der Brummigkeit. »O Tod, ich kenn's, das ist mein Gutsnachbar.« Unangemeldet klopft er und zerstört zwei kostbare Stunden mit Rederei über Gartenkultur und Eisenbahn. Ein Studierter, hilf Himmel! Zwar gerade kein trockener Schleicher, und eine Fülle der Gesichte stört er nicht, aber solche steifleinene Gesellen konnten den Bräutigam um jeden Humor bringen. »Hildebrand!« »Zu Befehl!« marschierte der Kammerdiener auf, ein Bruder jenes Hildebrand, den er vom Ertrinken gerettet. »Vom Essen bis Sonnenuntergang bin ich für niemand zu Hause, besonders nicht für Herren, zu denen ich ›Sie‹ sagen muß. Verstanden? Marsch!« Auf der Schwelle rief er ihn zurück: »Was macht die Braut, das junge Ding aus Lauenburg? Macht nur bald Hochzeit! Langer Brautstand ist ein saurer Apfel, in den kein Adam gerne beißt.«
Ihm standen noch drei Termine mit störrigen Bauern und eine Konferenz mit dem Justizminister in Berlin bevor, wegen einer von ihm vorgeschlagenen Reform des provinzialen Gerichtswesens.Am ersten Mai war offizielle Deichschau, und er hätte dann mit den Hexen, die in dieser Walpurgisnacht durchreisen, auf den Brocken fliehen können, um dort bärenmäßig allein in der Höhle sich zu verstecken, fern von jeder Menschenstauung, sobald er von Reinfeld zurückkam. »Was ist los, Odin?« Der unvernünftige Hund fletschte blutgierig die Zähne, weil ein feiner Herr den Hof betrat, dem man eine indogermanische Abkunft nicht gerade zutrauen konnte. Ach so! Legt das Vieh an die Kette! Ich werde dich noch abschaffen müssen, Gott Odin, mit deinem zu feinen Geruch für Rasseneigentümlichkeiten.« Sobald ein getaufter oder ungetaufter Semit sich innerhalb des Hofgebietes und Schlosses befand, geriet Odin aus Rand und Band, kein Abkömmling von Moses und den Propheten war vor seinen Zähnen sicher. Sein Herr teilte solche Vorurteile nicht, machte sich aber als Hundeliebhaber seine Gedanken über die Idiosynkrasie des klugen Köters. Er fühlte sich jetzt behaglicher, wenn er allein am Gartenfenster auf der Giebelseite stand, über das freundliche Elbtal wegblickte und Reinfelder Wurst schmauste. Der alte Bellin ging ab und zu, wobei dem Gutsherrn einfiel, daß der Inspektor vor 40 Jahren als Reitknecht hier anfing und dessen Frau im Schönhauser Dienst geboren wurde. Und so stand es
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