Bismarck 01
mittelmäßige Plattfüße haben diese Weisheit plattgetreten, daß das Geniale zum Trivialen wurde. Und dann schwatzt man von Wundern als von etwas Unnatürlichem, obschon wir täglich Wunder der Natur als etwas Natürliches hinnehmen. Gewohnheit stumpft die Erkenntnis ab, daß wir das Beobachtete schon für etwas Erklärtes nicht halten dürfen. So wenig wie der Menschenseele schaut man einem Naturvorgang auf den Grund, wie altkluge Physiker sich einbilden. Sehr entzückte ihn ihre Versicherung, daß sie ihn immer lieben wolle, auch wenn ihre Herzen in Glaubenssachen verschiedene Wege gingen. Er schrieb gleich eine Antwort darauf nieder, doch kam ihm alles schwerfällig vor, da das Geschriebene meist zu viel sagt und Mißdeutungen nahelegt. Dies um so mehr, als Posthalter Böge in Zuckers offenbar alle Briefschaften aus Schönhausen mit lebhaftem Interesse las, weshalb sie stets zu spät in Johannas Hände gelangten. Otto behielt sich eine Verwahrung dagegen an den Oberpostmeister v. Schaper vor.
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Er saß mal wieder allein in der warmen Stube. Sein Verwalter, der Graukopf Bellin, verließ ihn nach gehaltenem Vortrag, nur die Uhr tickte, und das braune Hundevieh Odin gähnte und leckte sich die Pfoten. Als er damals das Gedicht des armen Chatterton, der Hungers starb, für die Braut abschrieb, spiegelte seine aufgeregte Einbildungskraft ihm vor, daß er nebenan in deroffenstehenden Schlafstube ein Kritzeln und Umblättern von Buchseiten vernahm. So seltsam verflochten sich in diesem wunderbaren Menschen die zarteste Sensibilität, wie bei einem Medium für alle Geisterstimmen des Alls, und realistische Derbheit, nur daß auch sein kühler Commonsense den Stempel des Ungewöhnlichen trug. Seine unermüdliche Arbeitslust und sein stets nach Beschäftigung und Nahrung suchender Geist ließen ihn heute, wo seine gefestigten Nerven sich vor keiner Spukstunde bei mitternächtiger Lampe fürchteten, sogar nach polnischen und russischen Grammatiken und Diktionären greifen. Daraus schöpfte er neue polnische Liebesbeschwörungen der Anrede und rief »Pilna Panna« (fleißiges Fräulein), als er einen Brief der Braut an dem gewöhnlichen rosaroten Siegel und dem verschnörkelten »Hochwohlgeboren« erkannte. Sie klagte, daß sie blasser und blasser werde, sich aber nicht vor Scharlachfieber fürchte, das in der Umgegend herrsche. Er, der sich vor nichts fürchte, werde sie dafür loben. Das tat er denn auch, man müsse sans peur sein und sans repoche wenigstens danach streben. Furchtlosigkeit halte die Ansteckung ab, doch habe er allen Respekt vor solchen Krankheiten, und sie möge sich nicht einbilden, daß er sich niemals fürchte, mindestens fürchte er für sie. Sie müsse vor allem reiten, und sollte es auf ihm selber sein. Wenn sie die launenhafte Luna nicht lenken könne, dann ein anderes Pferd, das er womöglich selber auswählen wolle. Die Werke von Thomas Moore, für dessen Verse sie nach den Proben schwärme, könne er ihr mitbringen, das werde sie aber enttäuschen, denn nur selten breche bei ihm die süße Schwermut durch, die sie so liebe. Leider habe Moore meist leichtfertiges und sogar unschickliches Zeug geschmiert. Doch sende er ihr ein reizendes Lied »Weinen« als galante Huldigung. Solange ihre Augen gesund seien, möge sie immerhin mit »verträumtem Weh« spielen, es stehe ihr so gut. Er fügte tiefsinnige Wahrheiten bei anläßlich seines eigenen kleinen Wirkungskreises, wie wenig selbst ein König für das Wohl seiner Mitmenschen vermöge, und empfahl ihr Lenau I. Teil, S. 226 das Gedicht »Der Indifferentist« nachzulesen. – Düster erinnerte er sich dabei einsamer Streifereien, den Lenau in der Tasche, wo er am Kniephofer Teich in unergründliche Schwermut versank und auch das Bild von Isabella Loraine aus dem Wasser aufstieg. Und ich mein', ich höre wehen leise deiner Stimme Klang ... Heut hörte er nichts mehr. Wie lange lag das hinter ihm, long long ago ! – –
»Werden Sie bald zu Ihrer Braut reisen?« fragte ihn sein Freund, der Jurist v. Gerlach in Magdeburg, wohin er in Geschäften hinüberreiste.
»Ich zähle die Stunden, wohl noch 280. Doch l'homme propose, dieu dispose . Das Wetter ist ja toll veränderlich. Als ich im offenen Wagen abfuhr, konnte ich mit Uhland singen: Die linden Lüfte sind erwacht. Eine halbe Stunde später sandte dieElbe eine Windsbraut auf meinem Filzhut, daß mir scharfkörniger Hagel das Gesicht peitschte!«
»Eine Braut, die sich schon als Xanthippe
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