Bismarck 01
Schönhauser grob, »so muß ich natürlich eintreten. Exzellenz mögen von meiner angeborenen Bescheidenheit einen schlechten Begriff bekommen, doch mein' ich nur, daß ich die bewußten Fehler etwas weniger habe, und das bedeutet nicht viel.«
Das tat es aber doch. Recht wenige im weiten Lande hätten es auf sich genommen, in windigen Nächten zu Pferd Rapporte abzuhören und zu senden, wo jede halbe Meile den ganzenFluß entlang ein Reiterpikett ihm flinke Boten zur Verfügung hielt. Oberhalb nach Sachsen zu trat gerade eine Stauung ein, so daß das Wasser nicht herunterfliehen mochte.
»Verfluchte Liederlichkeit! Warum kein genauer Rapport seit Mitternacht?« wetterte der gestrenge Deichhauptmann. »Will die Elbe ein Tänzchen wagen, ich spiel' ihr auf und werde der unbändigen Nixe den Kopf zurechtsetzen. Übrigens geh' ich lieber zu Fuß, als daß ich träge Pferde reite. Wäre die Elbe langweilig, sanftmütig, möcht' ich ihre Flut nicht kommandieren. Also man druff!«
Gegen Morgen fiel leise und senkrecht der Schnee, kein Lüftchen rührte sich im Flußtal. Die Eisschollen klirrten, im Wasser gleitend, die Deichwärter standen still wie verschneite Pfähle, Deich und Pferde und Menschen schienen schläfrig einzunicken. Kein Wunder, da sie von Mitternacht bis morgens sechs Uhr ihres Wächteramtes walteten, alle sechs Stunden abgelöst, doch den Deichhauptmann löste niemand ab. Aus dem Nebel tönten gelle Schreie eintönig, ohne den Klang zu wechseln.
»Wildgänse, gnädiger Herr«, machte ein junger Bauer sich wichtig. »Gibt Tauwetter.«
»Weiß ich selber, Sie schlauer Fritze. Ich habe schon wilde Gänse hier geschossen, als Sie in der Gemeindeschule Abc lernten«, wies ihn der Gutsherr ungnädig zurecht, »und noch viel früher, als ich in Schulferien hier draußen war.«
»Det stimmt, gnä' Herr«, brummte ein Alter. »Fix waren Se immer mit die Büchse, und manchen Samstag hatten Se de Jagdtasche voll.«
»Na, schon gut!« Otto lauschte lange auf das seltsame Kreischen der Wandervögel, hier willkommene Boten lauer Witterung, sonst geheimnisvolle Musik aus fernen Landen, wohin ihr Ruf die Gedanken entführt. Jenseits der See... jenseits des Todes... fern im Äther...
Um die bösen Launen zu vertreiben, unterhielt er sich zwischendurch mit Johanna in einem Tagebuchbrief über drei Tage. Sie schrieb ihm mit einer gewissen jungfräulichen Zurückhaltung, was er als Selbstbeherrschung lobte. Doch dürfe man sich nicht Zwang antun, seine Empfindung zu verbergen, sonst ersticke sie in sich selbst. Unkraut müsse man ausraufen, nicht aber es unter Weizenstroh verstecken, was das Korn ansteckt und das Unkraut nicht tilgt. Die kleinen Disteln seiner Nanne sollten ihn nur ruhig in die Finger stechen, und selbst an Brennesseln könne er sich nicht so wehe tun, wie an den großen Dornen seiner eigenen Seele. An denen müßten sie beide reißen, um sie zu beseitigen, und daran könnten wohl die Hände bluten. Bei Dornen aber blühen manchmal Rosen, und die würden sie wohl stehen lassen. Übrigens habe er das sündige Unkraut ihres Herzens noch gar nicht aufgefunden, und sie müsse ihm wenigstens eine Probe davon bieten. Ihren Acker würden sie beide schon so bestellen, daß das Unkraut nichtin Samen schieße. So ungefähr plauderte er anmutig hin, erhoben durch einen Brief des hochgestellten Beamten von Senft-Pilsach. »Ihnen ist ein kluges, braves, frommes Mädchen zuteil geworden, und das ist viel.« »Viel, daß ein Mädchen, so ist oder daß mir armem Sünder so Unverdientes beschert wurde?«
Als ein altes krankes Weib beim Gutsherrn bettelte, und er ihr barsch vorhielt, ihre Tochter habe 100 Taler gestohlen und sitze, leugne aber unverschämt, zitierte der alte Bellin einen alten Vers: »Aus Falsch, List, Trug und Eitelkeit spann die Natur mit äußerst zarten Fädchen ein Flatterding, man nennt es Mädchen.« »So is die Bande, gnädiger Herr. Un' dann nennt sich so wat det Paradestück der Schöpfung.«
»Bellin, laßt mich das nicht wieder hören! Das ist lügenhafte Verleumdung. Die Frauen sind im Durchschnitt sicher besser als die Mannsbilder, jedenfalls aber geradeso verschieden. Die alten Jungfern sagen auch immer ›die Männer‹ oder ›der Mann‹, als ob alle gleich wären. Und wir wissen doch selber, daß dem nicht so ist. Man sagt auch ›der Hund‹ als Allgemeinbegriff, und wie verschieden sind doch die Hunde! Vergleiche mal Odin mit einem Affenpintscher oder einen Bernhardiner mit
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