Bismarck 01
versicherte:
»Der König ist dennoch ein bedeutender Mann. Überhaupt ... nichts drolliger als die demokratischen Einbildungen, die Fürsten seien geistige Nullen und im Volk schlummere die wahre Kraft. Zu guter Letzt waren auch Bonaparte und Robespierre aus den gebildeten höheren Ständen, Mirabeau erst recht, für den ich immer eine Schwäche hatte. Louis XVI. war kein normales Exemplar eines Monarchen, Karl I. hatte nur das Pech, einem Cromwell gegenüberzustehen, sonst war er gar nicht so übel. Man medisiert allerlei über die Fürsten, doch im großen ganzen stehen sie nach Geist und Charakter weit über ihrem Untertanendurchschnitt. Das kann auch gar nicht anders sein. Von Jugend an werden sie hart in die Fuchtel genommen – mit Respekt zu melden –, die Würde ihrer Stellung macht sie früh reif, sie eignen sich eine Unmenge Beobachtungen an, wie sie ein anderer nicht zu eigen bekommt. Unser Friedrich Wilhelm IV. ist sicher ein Kolossus, gemessen an Georg Vincke und Alfred Auerswald, von den bürgerlichen Schaumschlägern ganz zu schweigen. Mir wird übel, wenn ich an die Herren Roturiers der Phrase denke. Der praktische Camphausen aus Köln ist auch nur so a Kölner Junge, der weiß, wo für ihn Barthel den Most holt. Nein, ich habe volles Vertrauen zu Seiner Majestät, daß sein großer Geist die Dinge richtig lenkt. Allerhöchstderselbe hat mir befohlen, mich im Laufe des Winters bei ihm zu melden.« –
»Nun geht's heim!« In dämmernder Frühe beschauten sie den roten Dom der Bundesfestung Mainz. »Hier haben viele Kaiser gethront in ihrer Pfalz, der Reichstag Barbarossas sah hier den höchsten Glanz der deutschen Macht. Alles vorbei! Wir werden keinen Reichstag mehr sehen, und Barbarossa sitzt im Kyffhäuser fest. Bekämen wir Deutsche wieder einen Kaiser, dann müßt' es anstandshalber kein Rotbart sein, sondern ein Weißbart, ein Jüngling mit Greisenhaar, etwa wie der alte Blücher. Denn wir sind so alt geworden in vielhundertjährigem Warten. Vielleicht erleben's unsere Enkel.« Als sie über die Schiffsbrücke den Dampfer bestieg, hob ein Windstoß den leichten Sommermantel, den sie in Genf gekauft. Die Wogen des Rheines rauschten eintönig, grau und träge. Eine Färbung grämlicher Verdrossenheit lag über den sonst so fröhlichen Ufern, graue Regenstimmung schlang die Landschaft ein. Als sie an Biebrich vorüberfuhren, lehnte ein Herr mit Fernrohr in einer Fensternische des Schlosses. »Der Herzog von Nassau!« Der Kapitän grüßte ehrerbietig nach dem Schloß hinauf.
»Auch so'n kleiner Potentat, der nicht weiß, wo er hingehört und zu welcher Partei er sich schlagen soll«, raunte Otto ihr ins Ohr. »Und dabei bilden die Oranien-Nassau sich Gott weiß was ein. Gute Soldaten hier, unter Napoleon und Wellington sehr brav. Das müßten preußische Regimenter sein, wie die in Mainz.«
»Du möchtest alles in einen preußischen Sack stecken!« lachte sie belustigt. »Vergiß doch nicht, das sind auch Fürsten von Gottes Gnaden.«
Otto murmelte etwas Undeutliches. Untersuchte man ihn richtig, gab es für ihn nur einen von Gottes Gnaden: Seine Majestät von Preußen. Stolzenfels, Ehrenbreitstein, hoch durch den Regenflor aufragend mit steinernen Armen gen Himmel der Kölner Dom. »Hier beginnt der Kirchenstaat«, murrte er unwirsch. »Hier hat der Kaiser sein Recht verloren, hier regiert ein Fremder innerhalb unseres Staates. Überhaupt Vater Rhein, ein langweiliger Geselle! Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, die Lorelei trägt ein Kartoffelfeld statt goldenem Haar.«
Sie dachte an andere Etappen ihrer Reise.
Nachdem sie durch Salzkammergut und Brenner zur Brenta gelangten, bogen sie auf der Rückfahrt nach der Schweiz aus und sahen den Sonnenuntergang auf dem Rigi.
»Wie groß sind die Werke Gottes!« rief Johanna begeistert, und er erweiterte den Gemeinplatz: »So leuchtet die Vorsehung auf Gerechte und Ungerechte, und eine Sonne von Austerlitz scheint auch im Dezembernebel. Wie dies Licht hier vom Gipfel her alle Täler durchdringt, so mag wohl ein großer Gedanke, ein Genius, plötzlich alles bestrahlen, was vorher in Nacht und Eis begraben lag.«
Sie sahen den Montblanc im Genfer See sich spiegeln. »Hierhat Byron die Haroldstrophen gedichtet, die ich dir damals schickte. Freilich auch das ›Fahrewohl und wenn für immer‹ an seine geschiedene Frau. Beide sahen sich niemals wieder. Möge Gott in Gnaden jeden vor solchem Unheil behüten! Und führe uns nicht in Versuchung,
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