Bismarck 01
denn dein ist das Reich. Amen.« Und er drückte sie innig an sich. In Chillon ließ er sich den Namenszug Byrons an der Mauer zeigen, der hier in zwei Tagen bei Regensturm den »Gefangenen« schuf. »Es ist doch ein eigentümliches Gefühl, das ein solches einfaches Merkzeichen hinterläßt: Hier stand ein großer Mann, seine Hand hat hier den Stein beschrieben. Wir gewöhnlichen Sterblichen können nur nachfühlen, was es bedeuten muß, ein großer Mann zu sein, dessen Name nie vergessen wird. Von des Lebens Gütern allen ist der Ruhm das höchste doch! singt Schiller, der es ja wissen mußte. Aber ist das wahr? Wenn der Leib in Staub zerfallen, was hilft der große Name! Leichen kann man nicht mit Nachrufen füttern. Freilich wissen wir denn, ob die Seelen der Abgeschiedenen nicht noch über uns weilen und so noch ihren späten Ruhm genießen? Ach, Unsinn! Was in das Jenseits eintrat, verachtet alle Eitelkeit der Eitelkeiten.«
»Aber Otto, kann man sich das nicht anders denken? Wenn einer etwas Großes für die Menschen tut, dann ist seine Seele glücklich, auf den Segen zu schauen, der weiterwirkt.«
»Wie wahr! O Nanne, dein kluges Frauenherz!« Er sah sie warm an. »So wird's wohl sein. Wenn ich mir vorstelle, ein Deutscher hätte für sein Volk – denn Menschheit ist immer ein vager, hohler Begriff – etwas getan, was dankbar nie vergessen wird, solange noch deutsches Blut in den Adern rollt, ja, das wäre wohl eine Seligkeit, im Tode und nach dem Tode zu schauen auf sein Werk. Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn ... ne, Ruhm is nischt, dafür fehlt mir das Verständnis bei meiner allgemeinen Wurschtigkeit, aber so! Übrigens, glaube mir, hat noch nie ein Großer etwas des Ruhmes wegen getan, dann wäre es schon kein Großer, sondern der Sache wegen und um sich auszuleben. Ne, führe uns nicht in Versuchung! Wir kleinen Leute sollten uns nicht damit abgeben, über Größe zu spekulieren. Das ist ungesund. Wir haben bloß zu beten: Unser täglich Brot gib uns heute!« –
In Heidelberg langte Johanna leidend und erschöpft an als junge Frau nach der Hochzeitsreise. Doch sie entzückte sich an den duftigen Waldbergen und rief: »Sieh doch den herrlichen Efeu am Schlosse!« Otto zitierte Byron: »Ich bin wie Efeublätter, die um Schloßruinen blühn, verwelkt und grau nach innen, ob außen frisch und grün! Wie oft hab' ich das in den Bart gemurmelt in einer schlimmen Zeit! Doch seit du, sanfter Efeu, mich bröcklige Ruine umschlingst, da grün' ich von innen.« Sie warf sich ihm in die Arme, er küßte sie lange. Dann lachte er: »Dieser Byron! Singt da in Chillon: ›Eternal spirit of theboundless mind, brightest in dungeons, Liberty, thou art!‹ Ob das unsere Demokraten auch denken, wenn sie hinter Schloß und Riegel sitzen? Freiheit, der ewige Geist der Seele? Was heißt denn Freiheit, und was ist frei! Jeder ist nur sein eigener Knecht!«
*
Nach Berlin zurückgekehrt sah er sich zu kleinen Diners in Sanssouci zugezogen, wobei beide allerhöchsten Herrschaften ihm ihre volle Gnade zu erkennen gaben. Die Königin Elisabeth hatte als bayrische Prinzessin auch gewisse Familienneigungen in der Politik, doch ihre unbegrenzte Ergebenheit an ihren Gemahl machte regelmäßig halt, wo ihre persönlichen Beziehungen von den politischen Interessen des Königs sich trennten. Dieser gab Bismarck jetzt deutlich zu verstehen, daß sein öffentliches »Schneiden« nicht eine abfällige Kritik bedeuten, sondern nur seine Übereinstimmung vorerst verheimlichen wollte. Die Broschüre von Radowitz »Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.« war nun am 20. November erschienen und machte Aufsehen.
»Aber – da ist ein großes Aber!« vertraute der König seinem neuen Günstling an, den er in einer Fensternische beim Knopfloch nahm. »Die Auseinandersetzung mit Österreich!«
»Dazu könnte wohl Rat werden, da leider in diesem Kaiserstaat die zentrifugalen und revolutionären Elemente überhandnehmen. Bei solcher Schwächung –«
»Da sei Gott für, daß wir die Notlage der altehrwürdigen deutschen Dynastie ausnutzen sollten!« rief der König entrüstet. »Allerorts sind die Übelgesinnten am Werke, Satan hat große Macht auf Erden, Böses wird aus allen deutschen Bundesstaaten berichtet, doch Preußen wird sich, so Gott will, wiederfinden in Gottesfurcht und Königstreue. Wir sind der rocher de bronce der deutschen Dynastien gegen den Unflat der Revolution.« –
So schien es in allen
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